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was mir ein weiterer Beweis zu sein scheint, daß die berühmten Historiographen auch mit Lionardo da Vinci nicht besser vertraut sind, als die Mehrzahl jener Kunstschriftsteller, die sich über diesen großen Künstler haben vernehmen lassen.

Der Umbau der Galerie verhinderte mich leider am Eintritt in jene Säle, in denen die Bilder aus der lombardisch-mailändischen Schule hingen; ich sehe mich daher genöthigt, für diesmal wenigstens, unter den im Katalog angeführten Werken der speciellen Schüler Lionardo’s nur über die wenigen derselben, die in den dem Publikum zugänglichen Räumen aufgestellt waren, hier zuletzt einige flüchtige Bemerkungen anzureihen. Dem Katalog nach gehören diese Bilder dem Boltraffio, dem Balthasar Peruzzi und endlich dem Francesco Melzi an.

Die edle, wahrhaft monumentale Gestalt der h. Barbara des Boltraffio oder Beltrafio (No. 207), die Ende des vorigen Jahrhunderts noch in der Sakristei von S. Satiro in Mailand sich befand, gehört zu der kleinen Zahl der Werke von größerem Format, die von diesem feinen Meister uns erhalten sind; die Mehrzahl der Boltraffischen Bilder scheint nämlich für’s Haus bestimmt gewesen zu sein, und so haben sie nur kleine, viele derselben sogar sehr kleine Dimensionen[1]. Von diesen letztern befindet sich etwa ein halbes Dutzend in Mailand im Privatbesitze[2],


  1. Zu den Werken Boltraffio’s von größerm Format rechne ich noch: „die in freier Landschaft sitzende Maria mit dem Kinde, den hh. Johannes dem Täufer und Sebastian und den zwei knieenden Stiftern aus dem Bolognesischen Hause Casio“, in der Louvregalerie (No. 72); und „die in einer Felsengrotte sitzende Madonna mit dem Kinde, im Beisein der obengenannten Heiligen Johannes und Sebastian“ und dem Stifter, Bassano da Ponte, einem Patrizier von Lodi, für dessen Kapelle im Dome daselbst Boltraffio im Jahre 1508 das Bild malte. Die Pastelzeichnung zum Porträt dieses Stifters befindet sich in der Ambrosiana unter den Zeichnungen Lionardo’s; das Bild selbst, sehr restaurirt, wurde vor etlichen Jahren vom Kunsthändler Baslini, der es in Bergamo erworben, an einen Grafen Palffy aus Pressburg(?) verkauft.
  2. Bei Herrn Dr. G. Frizzoni in Mailand, bei den Grafen Sola und Borromeo in Mailand, in der Sammlung Poldi daselbst, bei Herrn Giovanni Morelli, in der Ambrosiana, auf Isola Bella.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/487&oldid=- (Version vom 31.7.2018)