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In derselben Albertina wurde vor Jahren das schöne, lebensgroße, mit Schwarzkreide gezeichnete Bildniß eines jungen Mannes, mit langen Haaren und schwarzer Mütze, von vorn gesehen, ebenfalls Raffael zugeschrieben, bis der Kennerblick des Herrn Direktor Moritz Thausing es dem Sodoma, seinem wahren Autor, zurückerstattete.

In der Gemäldesammlung des Städel’schen Instituts zu Frankfurt geht dann wieder ein treffliches, wiewohl etwas übermaltes Frauenbildniß (No. 22) des Sodoma unter dem Namen des Fra Sebastiano del Piombo[1].

Bei dieser Gelegenheit können wir nicht umhin zu bemerken, daß die prachtvolle Deckendekoration der s. g. Camera della Segnatura im Vatican selbst von Raffael für so trefflich befunden wurde, daß er dieselbe nicht nur stehen ließ, sondern selbst seine Achtung vor dem Sodoma damit bezeugen wollte, daß er dessen Porträt neben dem eigenen und jenem seines literarischen Rathgebers, des Grafen Castiglione, in der Scuola d’Atene anbrachte[2].


  1. Auch die Herren Cr. und Cav. (II, 355) nehmen dies weibliche Porträt für ein Werk des Sebastiano del Piombo, bemerken jedoch, daß sie dabei an Bronzino, also an einen Toskaner, erinnert würden. Ich mache meine jungen Freunde in diesem Bildnisse besonders auf die Landschaft, auf die Bildung der Hand, sowie auf die für den Sodoma ebenfalls charakteristische Mandelform des Auges aufmerksam.
  2. Der Mann im weißen Gewande und mit der weißen Mütze, neben Raffael, stellt nämlich keineswegs, wie man allgemein anzunehmen beliebt, den Perugino dar, der ja in diesem Zimmer nichts zu schaffen hatte, sondern den Sodoma, dem die Deckendekoration des Zimmers angehört. Aus derselben liebevollen Rücksicht setzte Raffael im folgenden Zimmer, der s. g. Camera d’Eliodoro, unter den Trägern des Papstes nicht, wie mehrere Schriftsteller angeben[a 1], den im Jahre 1514 kaum zweiundzwanzigjährigen Giulio Romano, sondern vielmehr, wie ich glaube, den Balthasar Peruzzi, dem ein großer Theil der Deckendekoration [473] angehört, und der folglich hier ebenfalls als Mitarbeiter Raffael’s angesehen werden muß. Will man sich davon überzeugen, so vergleiche man den Kopf des ersten Trägers links mit dem Porträt des Peruzzi auf dessen großer getuschter Zeichnung (No. 438) in den Uffizien.

Druckfehlerverzeichnis

  1. Vorlage: die Kunstschriftsteller angeben
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/491&oldid=- (Version vom 31.7.2018)