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Verschiedene: Die zehnte Muse

Da rief der Kindlein zitternde Schar:
Ach, Mutter, wir schweben in höchster Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,

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Ging heut mit dem Sohn hier vorbei und begann:

Uns liessen auch unsre Verwandten im Stich;
Ich rechne nun einzig auf dich und auf mich.
Wir wollen, wann morgen die Hähne kräh’n,
Selbander uns rüsten, den Weizen zu mäh’n.

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     Ja, sagte die Wachtel, nun ist’s an der Zeit!

Macht schnell euch, ihr Kinder, zum Abzug bereit;
Wer Nachbarn und Vettern die Arbeit vertraut,
Dem wird ein Schloss in die Luft gebaut;
Doch unter dem Streben der eigenen Hand

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Erblüht ihm des Werkes vollendeter Stand. –


     Die Wachtel entfloh mit den Kleinen geschwind,
Und über die Stoppeln ging tags drauf der Wind.


A. F. E. Langbein.
(1759–1835.)




In’s Reine.

Im Hahnserail war gross Geschrei,
Es wurde viel gesprochen,
Die junge Henne hätt’ die Treu
Dem alten Hahn gebrochen!

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»Nein, was zu toll ist, ist zu toll!«

Rief laut der Schwestern eine
Und pusst’, dass jede Feder schwoll,
Und schimpfte Stein und Beine.

»Das ruchlose Geschöpf! – die Schand’!

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Wir alle sind beleidigt! –

Wo gäb’s ’ne Henne wohl im Land,
Die solche Sünd’ verteidigt?

Die alte Frömmigkeit stirbt aus? –
Grau’nhafte Frevelthaten!

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O Sittlichkeit im Hühnerhaus,

Wo bist du hingeraten?« –

Sie drangen auf die Aermste ein,
Begannen zu versäbeln
Das hübsche Ding, fast kurz und klein,

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Mit ihren scharfen Schnäbeln.
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Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/247&oldid=- (Version vom 31.7.2018)