Verschiedene: Die zehnte Muse | |
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Die Chöre klangen. Und voran dem Zuge
Auf Flammenhengsten ritt der Rache-Gott.
Fern sang die Orgel ihre Geisterfuge …
Doch auf die Bahre, wie im Falterfluge,
Er hat gezweifelt! Hat mit weisen Dingen
Den Tag verträumt! Und in des Wissens Qual
Liess er das Glück im Tanz vorüberklingen,
Liess uns, die Mädchen, in den Hütten singen
Die Rache kam! Denn mit dem warmen Strahle
Der Frauenhuld, die seinem Herzen schwand,
Starb alles Blühen, wie mit einem Male,
Und alles, alles, was sein Herz im Tale,
Ihn rührte nicht mehr das geweihte Schäumen,
Das aus der Scholle rings den Lenz gebar;
Ein Fremdling schritt er in entseelten Räumen
Und fühlte nicht mehr, dass sein Herz den Bäumen,
Das grosse Staunen, das ihn einst bezwungen,
Als seine Seele mit den Kindern litt,
Seit jener Stunde war es stumm verklungen,
Die Bäume schwiegen, die ihm einst gesungen,
Der Götter Atem, der ihn einst umfangen,
Als er noch Pfade zu den Müttern fand,
Blieb nun verweht in alten Wipfeln hangen;
Er aber siechte mit verhärmten Wangen
Im letzten Frösteln aber rief er leise
Ein Vöglein an, das ihm von Liebe sang:
Dank, Vöglein, Dank für Aphroditens Weise,
Ich lebte nicht der schönen Frau zum Preise,
Nehmt meinen Leib, gebt ihn dem Flammenmeere,
Das schönste Mädchen schichte Scheit auf Scheit!
Zur Sühne sei’s! Denn ich vergass die Lehre,
Die göttliche, dass uns vom Geist der Schwere
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/271&oldid=- (Version vom 31.7.2018)