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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Dritter Band.pdf/122

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Gedanke einheitlich durchgeführt, hier ein Gedanke den anderen verdrängend; dort der ganze Altar bei manchen Mängeln doch ein groß angelegtes, warm empfundenes Werk, hier Schenaus Altarbild voll viel Schönheitsgefühl, aber doch ohne recht kräftige Empfindung; dort der Geist des Barock durch Bähr, den schlichtgläubigen Leinwebers-Sohn vom kirchlichen Geiste geweiht, hier die letzten Reste des Barock ertötet durch die klassizistische Bauweise eines Krubsacius und seine aller religiösen Empfindung entbehrende steife Formengebung. Und wenn das Geschlecht jener Zeit den bei der Annenkirche zuerst fehlenden Thurm offenbar ebensowenig entbehrte wie bei der Dreikönigskirche, die ja auch bis 1859 thurmlos war, der schließlich 1825 vollendete Annenkirchenthurm mit seinen nackten Flächen und scharfen Linien ist wiederum so recht das Erzeugniß einer Zeit religiöser Schwunglosigkeit und Kühle.

Denselben Geist treffen wir auch auf den damaligen Friedhöfen. Das Objektive des Glaubens: Kreuz und Bibelwort tritt immer mehr zurück. Statt dessen mehren sich Saturne, Urnen, zerbrochene Säulen und Thränenkrüglein. Auf die Denkmäler aber schreibt man ausführlichst Stand und Titel, Orden und Ehren des Verstorbenen neben überaus nüchternen Reimereien. Man höre nur die auf dem alten Annenkirchhofe bis heute erhaltene Inschrift:

Hier ruht ein Ehepaar, die ihren Gott geehrt,
Sich treu und fromm ge(halten) und ehrlich sich genähret,
Der Armen treu gesorget, dem Nächsten nützlich waren,
(Sie mögen, wie’s der) treue Gott den Frommen lohnt, erfahren.

Die damals erbauten Häuser aber zeigen dieselbe Art von Versen und Inschriften, und Hasche, obgleich doch selbst ein Kind seiner Zeit, bemerkt in Bezug auf sie: die Alten hatten einen bessern Geschmack als unsere Armseligkeiten. Gewiß es gab noch auf der Hauptstraße den „Gottessegen“, das Haus, in dem der junge Kügelgen aufwuchs, und auch sonst hier und da einen schlichten christlichen Reim, so am Täubchenhaus auf der Ziegelgasse:

Noä Täublein bracht einen grünen Zweig
so nach der Sündflut den Frieden anzeigt
also nach einer Krieges Feuers Glut
das Täublein mit einem Friedenszweig ruht.

Im allgemeinen aber klagt Hasche mit Recht über die „fromm sein sollenden abscheulichen Verse, die man zur Ehre des guten Geschmacks in einer Residenz gar nicht dulden sollte“. Und wirklich, derartige Spielreime wirr zusammengestellter Worte, die nur mit Hilfe eines Schlüssels zu lesen waren und derartige geist- und geschmacklose Reimereien wie damals hätte man vorher nicht an sein Haus geschrieben. Dutzendweise fand man Inschriften nach dem Schema:

Dies Haus es steht in Gottes Hand
Zum ..... ist es genannt.

Im Uebrigen sei nur die Inschrift am „goldnen Löwen“ am Elbberg angeführt:

Nicht zu niedrig, nicht zu hoch,
frisch gebaut, gehofft auf Gott,
unsre Zeit verschwindt,
nehmt sie an, wie ihr sie findt,
ist sie böß, laßt sie vorüber,
ist sie gut, so freut euch drüber.

Ein Wunder war es ja freilich nicht, daß ganz Dresden damals schon äußerlich die ödeste Nüchternheit athmete. Denn wie im öffentlichen Leben Sachsens nach dem Tode Friedrich Augusts II. auf eine Zeit, die einem rauschenden Feste glich, eine Periode folgte, in der Friedrich August der Gerechte, dem jeder Flug von Genialität fehlte, sich nur bemühte, sparsam und vernünftig zu wirthschaften, so war etwa gleichzeitig in der Kirche auf die Orthodoxie der Rationalismus gefolgt, der das Christenthum wesentlich vom Standpunkte der Vernunft und des Nutzens aus ansah, und der zwar die Bibel als unentbehrliche Religionsurkunde und die Kirche als heilsame Religionsanstalt bestehen ließ, sie aber gleichzeitig von allen der Vernunft irgend widerstrebenden Bestandtheilen zu reinigen suchte.

Einzug in Dresden hatte der Rationalismus etwa um die Mitte des 18. Jahrhunderts gehalten. Denn damals begannen auf den Kanzeln der Residenz Männer zu predigen, die in Leipzig zu den Füßen Ernestis, des Vaters der rationalistischen Schriftauslegung, gesessen oder auf den durchaus vom Aufklärungsgeist beherrschten Universitäten Wittenberg oder Halle studirt hatten. Wählen wir, um ihre Lehrweise kennen zu lernen, einmal nicht Oberhofprediger und Superintendenten, wie Hermann, Rehkopf oder Tittmann, deren Stellung zur Bibel und Orthodoxie ja bekannt ist, sondern Männer aus dem Kreise der übrigen Stadtgeistlichkeit. Als ein Muster seines Standes zeichnen die „Schattenrisse edler Teutscher“ (Halle 1784) auf drei vollen Druckseiten den Diakonus M. Frenkel von der Kreuzkirche († 1779), denn, schreibt der Verfasser „in seinen Predigten ist Nahrung für Denken und Empfinden und weniger Blumensprache. Wahrheit, Aufklärung und Erbauung ist sein Ziel, von der stieren Orthodoxie aber hat er sich dabei lange entfernt.“ Pfarrer Raschig in Friedrichstadt († 1796 als Hofprediger) läßt bei einer Himmelfahrtspredigt über „die gefährliche Mittelstraße derer, die ihr Leben mit Gott und der Welt theilen wollen“ die Thatsache der Himmelfahrt Jesu völlig unbesprochen. Aehnlich behandelt er unter Beiseitestellung des betreffenden Wunders bei einer Predigt über die Auferweckung des Töchterleins des Jairus, die Todesfälle unsrer Freunde als Gelegenheiten, zu Christo zu führen.

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/122&oldid=- (Version vom 22.10.2024)