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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Dritter Band.pdf/123

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Als die Diakonen Cramer und Lohdius 1796 ein Morgen- und Abendsegenbuch herausgeben, betonen sie in der Vorrede, daß darin die Lehren der Religion von ihnen durchaus von ihrer praktischen Seite dargestellt seien, und ebenso übersetzt die Cramer’sche Nachahmung der Nachfolge Christi von Thomas a Kempis diese völlig in das Moralische und behandelt z. B. das heilige Abendmahl einfach als Erweckungsmittel zur Nachahmung der Tugend Christi. Der Stadtprediger Jaspis († 1837) aber schreibt in seinen Unterhaltungen auf dem Krankenlager über das Gebet: Ich glaube nicht, daß es Wunder und übernatürliche Dinge hervorbringe, aber es stärkt mich im Vertrauen auf den Vater. So war es ein entleertes Christenthum, das damals auf den Kanzeln der Residenz gepredigt ward, und so völlig erschien Dresden an der Wende des 19. Jahrhunderts als eine Beute des Rationalismus, daß die Eltern Kügelgens ihre Söhne zur Konfirmation zu dem als lutherisches Original bekannten Pfarrer Roller nach Lausa schickten, weil sich in der Stadt kein Geistlicher fand, dem sie ihre Kinder hätten anvertrauen mögen. Und wie die Kirche, so lehrte die Schule. Zwar als der ebengenannte Roller noch vor dem Pirnaischen Thore seine Privatschule hielt, da war dort durchaus die rechtgläubige Orthodoxie zu Hause. Aber wie stand es später! Daß der alte Kreuzkatechismus noch geltendes Uebungsbuch war, das änderte doch nichts daran, daß die Lehrerschaft – und wie erst, seit Dinter Direktor am Friedrichstädter Seminar war – in den Bahnen des reinsten Rationalismus wandelte. Im Kadettencorps war Karl Förster Religionslehrer, der rein philosophische Beichtreden z. B. über: „die Bedeutung des Lebens“ hielt. Ueber die Verhältnisse in der Neustädter Realschule aber unterrichtet uns Kügelgen, wenn er in seinen Erinnerungen eines alten Mannes über den Religionsunterricht des Rektors Angermann schreibt: „Zwar wurde jedem Vortrag ein Kapitel aus dem Evangelium zu Grunde gelegt, nicht aber als Glaubensbasis, sondern wunderlicher Weise als Gegenstand einer das Verständniß der Klasse weit überbietenden Kritik, welche ermitteln sollte, was in dem verlesenen Abschnitt Wahrheit, was temporärer und lokaler Glaube und was offenbarer Unverstand sei. Als Wahrheit blieb dann eigentlich nur das zurück, was sich für jedermann, der sich nicht geradezu Ohrfeigen zuziehen will, von selbst versteht“. Einmal bewies dabei Angermann den zwölfjährigen Knaben die Unmöglichkeit der Auferstehung, so daß Kügelgen ihn mit der Frage unterbrach, ob denn, was Menschen unmöglich, nicht Gott möglich und ob denn nicht Christus auferstanden sei. Wahrlich bei derartigem Religionsunterrichte darf man sich nicht wundern, wenn gerade die kirchlichsten Kreise ihre Kinder dem Einfluß rationalistischer Belehrung überhaupt entzogen, und sicher aus diesem Grunde haben die Eltern Kügelgens nicht nur im Privatunterrichte, den der Knabe, wie die meisten Kinder damals, eine Zeit lang erhielt, jeden Religionsunterricht ausdrücklich gestrichen, sondern auch ihre Kinder niemals zu den Gottesdiensten in die Kirche mitgenommen.

Was das gottesdienstliche Leben Dresdens in der Zeit des Rationalismus anlangt, so bewegte sich dasselbe zunächst allerdings noch lange in den äußeren Formen des Zeitalters der Orthodoxie. Ja man hielt sogar sehr fest an diesen Formen, und Anselmus Rabiosus schreibt in seinen Wanderungen und Kreuzzügen: „In Anschauung der Religion herrscht hier der auffallendste Bigottismus. Benjamin Schmolkens Geist weht noch unverkennbar hier, und nirgends kommen Aenderungen und Verbesserungen, wenn sie das geringste Titelchen der liturgischen Form betreffen, schwerer zu Stande, als hier“. Wirklich war die Gottesdienstordnung Dresdens noch diejenige Herzog Heinrichs. Auch das Gesangbuch war noch dasjenige der Zeit der Orthodoxie, und ebenso predigte man in so rührender Gleichmäßigkeit morgens über die Evangelien und mittags über die Episteln, daß selbst der Oberhofprediger Reinhardt, nachdem ihm zweimal auf seine Bitte eine Ausnahme gestattet worden war, doch 1812 zu dieser altgewohnten Ordnung zurückkehren mußte. Aber all das waren doch nur mehr kirchliche Antiquitäten. Wie die Geistlichen mit Schläfenrolle und Zopf einherschritten und noch Reinhardts Bild ihn mit wohlgepuderter Perrücke zeigt, so hielt man auch im Kirchlichen wenigstens äußerlich das Alte fest. Erst 1799 verschwinden ja auch aus dem Inventarienverzeichniß der Kreuzkirche die bei dem Abendmahl getragenen bunten Meßgewänder der Geistlichen, und den Klingelbeutel wagte man erstmalig 1792 bei der Weihe der neuen Kreuzkirche durch Becken zu ersetzen.

Im übrigen aber war auch das Jahr 1795, in dem jener Anonymus sein Urtheil über die Rückständigkeit des gottesdienstlichen Wesens der Residenz niederschrieb, so ziemlich der letzte Zeitpunkt, an dem etwas derartiges mit Recht behauptet werden konnte. Schon war ja Superintendent Tittmann, dieser Rationalist vom reinsten Wasser, an der Arbeit, und 1797 erschien sein Gesangbuch, eine Sammlung echt rationalistisch verwässerter alter Kirchenlieder, ergänzt durch die nöthige Zahl von Liedern der Zeitgenossen. Mit 95 Liedern war Gellert, mit 93 der schon obengenannte Cramer vertreten. Von Dresdnern hatte noch Diakonus Schlegel Beiträge geliefert und Tittmanns Sohn einen schönen „Lobgesang der Brüderlichkeit im gesellschaftlichen Leben.“ Im Jahre 1812 wurde dann auch die Tittmann’sche Agende, die Kyrie und Gloria abschaffte, sowie sein Gebetbuch eingeführt, und so ist es also Tittmann, der dem Rationalismus in Dresdens Gottesdiensten zur Herrschaft verhalf.

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/123&oldid=- (Version vom 22.10.2024)