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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Dritter Band.pdf/124

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So herrschte denn nun auch äußerlich der Rationalismus in der Dresdner Kirche, und auch der Geistesfrühling der Aufklärung hat diese Herrschaft zunächst nicht erschüttert. Gewiß, es war die Aufklärungszeit, in welche die große politische Erhebung Deutschlands wider das Joch Napoleons fällt, auch für das geistige und geistliche Leben eine Zeit gewaltigen Umschwungs geworden. Herder und Goethe, zu denen sich als dritter Kant gesellt, waren die Führer in diesem Geisteskampf, während auf religiösem Gebiete Schleiermacher der Begründer einer neuen Theologie ward. Stand aber bei jener politischen Erhebung unser Dresden als Residenz des mit Napoleon verbündeten sächsischen Königs vielfach im Mittelpunkte der Ereignisse, so hätte man meinen können, es müßte sich auch dieses neue geistige Leben vor allem in Sachsen und seiner Hauptstadt alsbald bemerkbar machen. Wie einst Leibnitz ein Sachse war, so war ja auch Fichte, der große Schüler Kants, in unserm Vaterlande geboren, und war auch Dresden kein Weimar. Einkehr haben in Dresden als einem Brennpunkte literarischen Lebens doch Goethe und Schiller ebenso gehalten, wie Herder, Schelling, Hegel und alle die andern geistigen Größen Deutschlands. Aber freilich gerade das Verhalten der Regierung Fichte gegenüber zeigt, daß in Sachsen ein sehr konservativer Geist herrschte. Auch ist es ja eine Thatsache, daß das Neue, was führende Geister heraufführen, von ihren Höhen erst ganz langsam in das Volk hinabsickert, und Jahrzehnte vergehen, ehe es wirklich Allgemeinbesitz wird. Endlich aber war der Erfolg des neuerwachten Geisteslebens ja jene neue bürgerliche Gesellschaft, die wie dem Staate, so auch der Kirche gegenüber Mündigkeit für sich in Anspruch nahm und deren Verhältniß zur Kirche sich so aufs nächste berührte mit dem Wesen des Rationalismus, der durchaus subjektiv gefärbt eine Vernunftreligion gegründet zu haben meinte, in der Jeder nach seiner Façon selig werden konnte. Da verstehen wir es denn, daß wie anderwärts, so auch in Dresden das kirchliche Leben während der Aufklärungszeit sich ruhig in den rationalistischen Bahnen bewegte, ohne durch die neuerwachenden geistigen und geistlichen Strömungen sonderlich erregt und beeinflußt zu werden.

Freilich das Volk und auch die Kirche selbst fühlte, daß seinen Gottesdiensten und Predigten doch etwas fehlte. Und so suchte man diesen Mangel zu ergänzen und zwar durch jene Rühr- und Gefühlsseligkeit, die die Aufklärungszeit überhaupt kennzeichnet. Da lag denn bei der Einweihungsfeier der Kreuzkirche die gesammte Geistlichkeit, wie es damals heißt, „während des ganzen Ambrosianischen Lobgesangs vor dem Allmächtigen und Allgütigen, dem Ewigen-Unendlichen, dem Hocherhabenen und Herrlichen auf den Knieen, und machte diese devote Ceremonie auf die Herzen der Anwesenden einen großen Eindruck“. „Während der Cantate aber herrschte eine tiefe feierliche Stille; sichtbar waren die Wirkungen, welche verschiedene Stellen auf die Herzen der Hörer machten und bei der Stelle: O Rückerinnerung, Rückerinnerung der Vergangenheit, Gott wie so schrecklich, so erschütternd! flossen Ströme von Thränen“. Aehnlich war es bei den Jubelfeiern der Reformation und der Augsburgischen Konfession 1817 und 1830, und noch 1839 bei dem Gedächtnißfest an die Einführung der Reformation in Dresden, der übrigens u. A. ein Nachkomme des Reformators, der preußische Kommissar Dr. Luther, beiwohnte, schwelgt man in Prunk und süßen Gefühlen. Auf dem Altar der Kreuzkirche prangte auf purpurnem Hintergrunde ein 15 Ellen hohes von weißen Rosen gebildetes Kreuz, während seitlich unter rothen Baldachinen Luthers und Melanchthons Bildnisse hingen. Als aber der große Festzug nach dem Gottesdienste auf dem Altmarkte sich versammelte und beim Schweigen der Glocken die Menge das Lutherlied sang, da „war der Himmel ebenso mild und freundlich, als die Rührung allgemein und machte den Anblick und Eindruck bei entblößten Häuptern der ganzen Menge zu einem ergreifenden und unvergeßlichen“. Man wollte eben, da der Verstand bei den Gottesdiensten jener Zeit doch zu einseitig herrschte, auch Herz und Gemüth zu ihrem Rechte kommen lassen, verfiel dabei freilich oft in einen Ueberschwang rührseliger Empfindsamkeit. Wie feierlich war so für jenes Geschlecht die Weihe der Friedrichstädter Schule mit Festzug und unendlich langer Festrede des Diakonus Feilgenhauer, an deren Schluß dieser die im Kreis um ihn versammelten Kinder aufforderte: „Nun liebe Kinder kniet mit mir nieder, es betet sich so schön unter freiem Himmel“, worauf die ganze, in festliches Weiß gekleidete Kinderschaar, im Kreis um ihn niederfiel, ein so rührender Augenblick, daß ihn uns das „Friedrichstädter Schuldenkmal“ im Bilde aufbewahrt hat. Geradezu typisch aber für derartige rührsame Veranstaltungen ist eine Gedächtnißfeier, welche 1812 im Freimaurerinstitut für den um dasselbe hochverdienten Herrn von Broizem abgehalten wurde und der, wie der Chronist berichtet, damit schloß, daß diejenigen Knaben, die den Redner am Altar im Halbkreise umgeben, alle zugleich und in langsam feierlichem Takte folgenden Schwur ablegten: „Wir schwören zu lieben die Menschheit, die Religion und das Vaterland“.

Als eine ähnliche religiös gestimmte Feierlichkeit wurde 1819 zum ersten Male vom Stadtprediger Jaspis im alten Gewandhaus eine öffentliche Christbescheerung abgehalten, und derselben Sehnsucht nach Gottesdiensten, die nicht nur dem Verstande, sondern auch den Sinnen und dem Herzen Rechnung trügen, entsprangen der Sylvestergottesdienst und die Konfirmation, zwei uns heute so lieb gewordene gottesdienstliche Feiern, daß

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/124&oldid=- (Version vom 22.10.2024)