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daß in demselben Jahre, wo das Werk im Druck vollendet wurde, auch schon die Frage der Beseitigung des von Michaelis mit so vieler Liebe beschriebenen Friedhofs auftauchte.

Von unsern heutigen Dresdner Kirchen läßt nur noch die Sophienkirche an einigen Stellen erkennen, welchen Anblick das Innere einer alten Begräbnißkirche mit den fast den ganzen Boden bedeckenden Grabplatten von Stein oder Metall, mit den an Wänden und Pfeilern neben und übereinander aufgerichteten Denkmälern und den in großer Zahl aufgehängten Gedächtnißschildern und Begräbnißfähnchen darbot. Manche Kirchen anderer Städte, z. B. die prachtvolle Lorenzkirche in Nürnberg, haben sich dieses Bild künstlerischen Ueberreichthums bis auf den heutigen Tag erhalten. Die Gräber in der Kirche lagen ganz dicht bei einander, meist sogar zwei von derselben Familie über einander, manche nicht einmal ausgemauert. Viele von den ältesten Leichensteinen waren schon zu Wecks Zeit von den Kirchenstühlen überbaut (wie noch jetzt in der Sophienkirche) oder, soweit sie in den Gängen lagen, durch vieles Gehen abgeschliffen. Eine weitere Fülle von Denkmälern bargen draußen auf dem Kirchhofe die Schwibbögen rund um die Außenseite der Kirche und um die ganze Innenseite der langausgedehnten Kirchhofmauer herum. Auf dem 6 Ellen im Geviert haltenden Raume eines solchen meist überdachten und vergitterten Erbbegräbnisses sollen bisweilen 30 und mehr Leichen beerdigt gewesen sein. Michaelis bringt aus der Kirche 245, aus den 118 Schwibbögen 285 und vom freien Kirchhofe 821, zusammen also 1351 damals noch lesbare Grabinschriften.

Plan des alten Frauenkirchhofs und seiner Umgebung

Aus diesen Zahlen schon erhält man einen Begriff davon, was für ein Reichthum an künstlerischer Arbeit dort aufgehäuft war, besonders wenn man bedenkt, daß nur der geringere Theil der Grabstätten sich mit einer bloßen Schrifttafel, wie sie jetzt üblich ist, begnügte, sondern die meisten mit figürlichen Darstellungen ausgestattet waren. Wollte unser Geschlecht mit seinen gesteigerten Mitteln auch nur in annäherndem Umfange die Gräber seiner Lieben mit Kunstwerken schmücken, welch ein Aufschwung der Künste könnte aus solcher Sitte hervorgehen!

Eins jedoch muß zugestanden werden: wenn unsere heutigen Grabstätten an eigenartigen Werken der bildenden Kunst arm sind, so haben sie den Schmuck einer neuen Kunst, der des Gärtners, vor den alten voraus. Bei dem Naturgefühl, wie es bei uns jetzt bis in die untersten Volksschichten hinein entwickelt ist, sind wir im Stande, uns auch durch die Schönheit der

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/134&oldid=- (Version vom 10.4.2024)