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Residenzen und Festungen gebräuchlich ist, einzuführen, wodurch zugleich die Stadt von besorglicher Infectien, welche gar leicht durch Gelegenheit der Kirchhöfe entstehen kann, außer gefahr gesetzt wird.
Daß bereits in öffentlichen Druck bekannt ist, was vor wohlverdiente Leuthe uff dem Frauen Kirchhoffe liegen, deme kann man durch eine andere öffentliche Schrift zu statten kommen, wenn man darinne anzeiget, auß was Ursachen die translocatio cadaverum geschiehet, und daß selbige mit allen Ihnen zukommenden Ehrenbezeigungen wiederumb an einen andern Orth solten gebracht werden. Die Erde ist doch überall des Herrn.
Honesta et religiosa sepultura ist allerdings bey allen civilisirten nationen hochgehalten worden, ist auch billig hochzuhalten. Allein wodurch wird denn honesta sepultura bey gegenwertigen Casu dehonestirt? Dann gleich der orth verändert wird, So bleibt solche doch honesta et religiosa, es sey nun selbige in oder außer der Stadt. Was die monumenta anbelanget, so kann man ja solche auff dem anderweiten neuen orth ebenfalß aufrichten und selbige so propre machen laßen, alß nur zu erdencken.
Daß, wie in Leben die Stände unterschieden, also auch die Dormitoria defunctorum Ihre Distinction behalten und daß ein honestior locus sepulturae ein essential-Stück einer wohlbestallten Stadt sey, ist nicht ohne, aber dieses kann ja bey gedachten anderweiten Orthe ebenfalls observirt werden, ja Sie können mehrangeregten neuen Orth nur zu den vornehmsten leichen destiniren, so wird Er nicht nur honestus, sondern honestissimus locus seyn.
Der Einwurff, daß dasjenige, was der Stadt durch die ansehnliche gebäude an estim zugewachßen, durch diese Veranstaltung selbiger umb ein merckliches entzogen würde, wird völlig cessiren, wenn die Sache auff hier angeführte Arth von E. E. Hochweisen Rath außgeleget und der Bürgerschafft remonstrirt wird. Daß die Corps de Garde eben nicht Eins der wichtigsten gebäude ist, darunter haben Sie zwar recht, allein Ihro Königl. Maytt. stehen in der Meinung, dergleichen Kirchhöfe inficirten die Lufft und machten Einer Residentz und Festung kein gut ansehen. Wann E. E. Hochweiser Rath diese und dergleichen Sätze der Bürgerschafft vorstellet, zweifele ich nicht, es werden Selbige nach und nach tranquill werden.
Uebrigens soll mir lieb seyn, wenn ich anderweite occasion haben kann, E. E. Hochweisen Rath und gesambter Stadt in etwas dienen zu können, der ich verharre
Meiner Hoch- und Vielgeehrten Herren
Dienst und bereitwilligster Flemming 
Warschau, den 10ten July 1715.

Uebrigens hatte der Rath bereits unterm 29. Juni ein anderes Antwortschreiben vom Grafen Flemming erhalten, das sich aber dessen Sekretär bei der Einsendung des eben mitgetheilten zurückerbat, da es habe liegen bleiben sollen und nur aus Versehen zur Absendung gelangt sei. Der Rath schickte es zurück, jedoch nicht ohne Abschrift davon in den Akten zu behalten. Es stimmt mit dem zweiten bis zu der Aufforderung, daß der Rath der Bürgerschaft die Aversion vor der Sache zu benehmen suchen solle, ziemlich überein und schließt damit ab. Aber Flemming stellt sich darin mit einigen Wendungen noch unbedingter auf die Seite des Rathes, was ihm wohl nachträglich bei der Aussichtslosigkeit der Sache unbequem war; auch scheint er es hernach für nützlicher gehalten zu haben, wenn er versuchte, den Rath im Sinne des Königs von der Grundlosigkeit seines Widerstandes zu überzeugen.

Der Rath freilich fühlte sich bei diesem Widerstande ganz von der öffentlichen Meinung getragen, ja wohl sogar angetrieben, und der Führer dieser öffentlichen Meinung war der redegewaltige und in der Unabhängigkeit seiner Gesinnung unbeugsame Superintendent Löscher. Er hielt mit Bezug auf die brennende Frage am 30. Juni 1715 über das Thema, daß des Menschen Wille das größte Hinderniß für das Werk Gottes sei, eine Predigt, die großes Aufsehen machte und die herrschende Erbitterung nur noch zu steigern geeignet war. Der Rath hat davon eine Nachschrift zu den Akten gebracht; es seien einige der schärfsten Stellen daraus hervorgehoben:

„Wenn man nach den Gesetzen lebt, so gehts wohl; wenn aber auch das aufhört, was bleibt übrig? nur der böse Wille“.
„O was vor ein großer und schrecklicher Zorn Gottes ists, wenn er einen Regenten läßt nach und nach so werden, daß sein Wille vor sich geht. Es sind betrübte Worte, die im 9. cap. Nehemiae stehen; da klaget der Mann Gottes (er wird aber deswegen kein Majestätsschänder): Unser Einkommen mehret sich den Königen, die du über uns gesetzet hast, um unsrer Sünde willen, und sie herrschen über unsre Leiber und Vieh nach ihrem Willen, und wir sind in großer Noth“.
„Meine Liebsten, unter den Excessen eines Landes ist auch dieser, wenn die Ruhe der Körper ohne Noth gestöret wird. Ach Gott läßt auch bei uns den Kelch überlaufen: was Kirchen und andern Leuten gehört, wird weggerissen, diejenigen, die ruhen sollen, werden ohne Noth hinweggenommen. Was sollen wir sagen? O wehe, daß wir so gesündiget haben! Sehet, eure Voreltern recken gleichsam die Köpfe aus den Gräbern vor wartender Dinge, die noch kommen sollen, und rufen euch zu: ihr habt das um uns verdienet, unsre Ordnungen und Anstalten habt ihr verachtet, französische Art ist eure Mode, o wehe euch, wir müssen mit leiden, was ihr unrecht thut!“

Man wird heute bei unbefangener Prüfung der Sache anerkennen müssen, daß das Verlangen des Königs, den Kirchhof aus der Stadt entfernt zu sehen, durchaus gerechtfertigt war. Gegen den Befehl der Schließung des Kirchhofs wäre gewiß nichts einzuwenden gewesen, aber eine große Härte lag darin, daß wegen des Baues der Hauptwache eine Anzahl Leichen, die vor nicht langer Zeit erst beerdigt waren, sofort weggeschafft werden mußten. Es verletzte das Volk im tiefsten Innern, daß seine geliebten Todten einem so unwichtigen Militärgebäude weichen sollten, denn es betrachtete diesen Bau nicht bloß als den nächsten Anlaß, sondern als die eigentliche Ursache der ganzen Maßregel und war in seinem beleidigten Gefühle den Vernunftgründen, die für die Beseitigung des Kirchhofs überhaupt sprachen, begreiflicherweise unzugänglich.

Von dem angeordneten Abbruche wurden 16 Erbbegräbnisse an der dem Neumarkte zugewendeten Kirchhofmauer betroffen. Die Eigenthümer derselben wurden am 15. Juni aufgefordert, sich schriftlich zu erklären,

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/139&oldid=- (Version vom 7.4.2024)