Seite:Dresdner Geschichtsblätter Erster Band.pdf/156

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Das erste Dresdner lutherische Gesangbuch
1593.
Von Oberlehrer Dr. Reinhard Rade.

Drei Jahrhunderte haben sich nunmehr vollendet, seit in Dresden das erste lutherische Gesangbuch erschien. Es ist das für die Entwickelung unserer städtischen Kirchenmusik ein zu bedeutendes Vorkommniß, als daß man es mit Stillschweigen übergehen dürfte.

Zwar erwähnen Wackernagel (Bibliographie) und Fischer (Kirchenliederlexikon) gelegentlich ein Dresdner Gesangbuch von 1589. Gesehen hat es keiner von beiden. Erschien dann 1590 wirklich eine Liedersammlung unter dem Titel: „Kirchen Geseng und Geistliche Lieder“, so ist dies doch nur ein Erzeugniß des Crellschen Kryptocalvinismus und kaum ein Gesangbuch zu nennen, wie es ja auch nicht einmal diese Bezeichnung an der Stirn trägt. Dazu ist es – wie Dibelius (Beiträge zur Sächs. Kirchengeschichte I, 231) treffend bemerkt – bei dem zeitweiligen Drucker Hieronymus Schütz und nicht bei dem streng protestantischen Hofbuchdrucker Gimel Bergen gedruckt.

Verschwand daher jenes geistliche Liederbuch ebenso schnell wieder, wie die ganze neu aufgekommene Richtung, der es seinen Ursprung verdankte, so hatte das erste lutherische Gesangbuch von 1593 dauernden Werth, ja maßgebenden Erfolg nicht blos für Dresden, sondern auch für spätere Sammlungen der Art in anderen Städten Sachsens.

Der Verfasser und Herausgeber ist der vierte Dresdner Kapellmeister seit Anbeginn dieses Kunstinstituts: Rogier Michael. Er selber nennt sich einmal „Michel von Bergen“ und eine spätere Personalliste setzt hinzu: „von Berg in Hennigaw“. Damit kann nur die belgische Stadt Mons unweit der französischen Grenze gemeint sein, in der er um 1550 geboren wurde. Der Vater durfte den Titel eines wohlbestallten „Mechanikus und Musikus“ Sr. Majestät des Kaisers Ferdinand I. tragen; die Familie war also eine musikalische. 1574 finden wir unsern Künstler in Onolzbach wieder, wo er sich unter den Sängern der Kapelle des Markgrafen Georg Friedrich befindet und von da durch die Markgräfin Emilia, die Schwester des Kurfürsten August, nach Dresden empfohlen wird. Der Kurfürst gab aus Torgau unterm 26. Juni 1574 den Befehl, der Kapellmeister Antonius Scandellus wolle „Rogier Michelln hören, ob er zu unserer Kapelle zu gebrauchen, sich auch bei ihm erkunden, was er zu Onolzbach zur Besoldung gehabt, alle Gelegenheit hinwieder schriftlich berichten und des Bescheides darauf gewarten.“ Schon 14 Tage später befahl der Kurfürst, er wolle ihn selbst hören und sich seiner Besoldung halber mit ihm vergleichen. Am 1. Februar 1575 traf von Annaburg die Bestallung ein, die ihn „zum Singer und Musiko“ in die Hofkapelle aufnahm unter dem Beding, daß er „getreu, holt und dienstgewärtigk sei und die Wohlfahrt befürdere.“ Er bezog einen Gehalt von 144 Gulden.

Doch die Sängerthätigkeit gab nur die Einleitung zu Weiterem. Scandellus war hochbetagt 1580 gestorben. Man glaubte wieder einen Italiener holen zu müssen und ließ sich einen Edlen aus Genua, Pinellus de Gerardis, von Kaiser Rudolph II. empfohlen sein. Aber üble Erfahrungen mit diesem aufbrausenden Künstler bewiesen deutlich, daß er zu dem Amte eines Kirchendieners sich nicht eigne. Nach des Kurfürsten Tode griff man zunächst zu dem um 6 Jahre länger bediensteten Georg Forster aus Annaberg, doch als dieser schon nach 18 Monden starb, stellte man am 12. Dezember 1587 Rogier Michael an. „Doch soll er auch guten, getreuen Fleiß anwenden, damit unsere Hofkantorei in Würden und gutem Wesen verbleibe und wir daran eine Zier und Ehre gegen Fremde haben mögen.“ Sein Gehalt betrug anfangs 400 Gulden, erfuhr aber 1592 eine Beschränkung auf 300 Gulden; vier Söhne und eine Schaar Sänger umgaben ihn, unter denen sich berühmte Leute heranbildeten, wie der spätere Freiberger Superintendent Abraham Gensreff und der Leipziger Thomaskantor Hermann Schein.

Wesentlich bleibt nun sein Antheil bei der Herausgabe des Dresdner Gesangbuches. Der erste Theil führt den Titel:

Gesangbuch: | Christlicher Psalmen, vnd | Kirchen Lieder D. MARTINI LVTHERI, | und anderer frommen Christen. | Alle sampt mit den Noten, vnnd ihren rech- | ten Melodeyen, wie solche in der Churfürstlichen Sächsischen | Schloßkirchen zu Dreßden gesungen werden. | Desgleichen etliche mit Vier stimmen, künstlichen | abgesetzet, Wie im andern Theil zu finden. | Jetzt vffs new nach den Festen, und nach D. Lutheri | Catechismo, auch vff die begräbnis Lateinisch vnd Deutsch, | fein ordentlich in zwey Theil verfasset, vnd zusammen gebracht, | desgleichen zuvor niemals geschehen. | Allen Christlichen frommen Haußvätern vnd Haußmüttern inn ihren | Heusern, mit ihren Kinderlein, so wol als in Kirchen vnnd | Schulen, sehr nützlichen und dienstlichen. | Gedruckt in der Churf. Stad Dreßden, durch Gimel Bergen. | Cum Privilegio, Friderici Wilhelmi Electi Sax: Administ: | ANNO M. D. XCIII. |

Dieser erste Theil enthält auf 9 Seiten eine Dedikation, „den Herren, Praefecto ... Burgermeistern unnd Rath der Kayserlichen Stad Breßlau ... dat. 25. Jul.

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/156&oldid=- (Version vom 20.4.2024)