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rechtfertigen – nicht sowohl wegen der Zusammenstellung von Pathos und Trivialität, als vielmehr wegen der kindlichen Auffassung, die den Darsteller einer Rolle für die Thaten der dargestellten Person verantwortlich macht. Vor etwa fünfzig Jahren begab sich Aehnliches in Rio de Janeiro, indem ein Schauspieler in öffentlichen Blättern bekannt machte: er sei keineswegs einverstanden mit den Niederträchtigkeiten, die er in der ihm übertragenen Rolle zu verüben habe, man möge sie ihm daher nicht anrechnen. In Persien wird in den religionsgeschichtlichen Schauspielen der Darsteller des Ibn Meldschem, Ali’s Mörder, wenn er nach Beendigung der Aufführung sich nicht schleunigst in Sicherheit bringt, von den Zuschauern halbtodt geprügelt. – Indessen was bei Brasilianern und Persern Brauch ist, durfte man den hellen Sachsen nicht vormachen. Etliche Jahre später wurde in einem anderen freundschaftlichen Theater Dresdens auch ein Prolog vor „Julius von Tarent“ gesprochen, den man geradezu für eine beabsichtigte Entgegenstellung gegen den Meißnerschen halten könnte, indem sich der Sprecher desselben als eins mit seiner Rolle erklärt. Er beginnt:

Die Rollen sind vertheilt zum schreckenvollen Spiele,
Und Todesahnung bebt auf meiner Mitgenossen Angesicht.
Ich trage Guido’s Bild, und weibische Gefühle
Kennt dieses Felsenherze nicht.
Zwar fühl ich wohl der Rolle Last, die ich mir wählte,
Allein sie ist es auch, die wider Tadel und Kritik
Und wider der Verachtung Blick
Dies Herz mit Demanthärte stählte.
Und wenn auch Guidos Geist nicht wie der Dichter wollte,
Und wie er nach des Zirkels Meinung sollte,
Uns mir in jeder Silbe spricht,
So bitt ich dennoch um Verzeihung nicht.
Des Beifalls spott’ ich, der durch Bitten,
Erniedrigungen wird. Mit festen Schritten
Verfolg ich die erkorne Bahn,
Und jeder starre, wie er will, mich an.
Wenn sie, die sich bei diesem hohen Spiele
Die Rollen zärtlicher Gefühle
Erkiesen, schüchtern sie zu spielen wagen,
So mögen sie für sich Entschuldigungen sagen,
Um Nachsicht, wenn sie fehlen, flehn,
Und ihre Fehler selbst gestehn –
Mir ziemt das nicht; denn Guido hätt’ es nie gethan,
Und seine Denkart nehm’ ich an.

So trotzt der Prolog fort, überguidot den Guido und schließt:

Ha! Guido’s Blut, schon rollt’s in meinen Adern,
Schon lüstert mich’s mit aller Welt
Und mit dem Himmel selbst zu hadern!
Schon fliegt voll Trutz mein Blick umher.
Schon sehn’ ich mich nach Gegenwehr,
Die Feuergluth, die meinen Busen schwellt,
Durch Blut, es sei von wem es sei, zu kühlen.
Fangt an, fangt an zu spielen!

Man wird der Meinung sein können, daß zwar Meißners Prolog zu läppisch war, dieser zweite aber durch das Entgegengesetzte nicht minder sich ins Komische verirrte.

An die Darstellung des „Julius von Tarent“ knüpfe ich noch die Erwähnung, daß mit dessen Aufführung das Societätstheater in der That einen Ersatz für den Ausfall des von den Hofschauspielern Dargebotenen zu schaffen beabsichtigte; denn diesen war die Aufführung von Trauerspielen in Dresden untersagt. Nachdem sie einige Zeit lang sich an das Verbot nicht gekehrt und 1782 Schillers „Räuber“ gegeben hatten, erschreckte deren packende Leidenschaftlichkeit die friedlich und gemüthlich gesinnte Regierung dermaßen, daß man sich beeilte, jenes Verbot zu erneuern. Da es mir nicht gelungen ist, die Zeit des ersten Trauerspielverbots festzustellen, so vermag ich um so weniger dessen Gründe zu erforschen; zu vermuthen ist jedoch, daß die seit Lessings Vorgang in der Trauerspieldichtung eingedrungene Richtung des Dargestellten auf Wirklichkeit und Gegenwärtigkeit für die Dresdner ängstlichen Gemüther abschreckend war. Das bestätigt auch die Thatsache, daß, nachdem im Jahre nach jener Verbotserneuerung kein Trauerspiel von den Hofschauspielern aufgeführt worden war, sie im nächstfolgenden Jahre, also 1784, auf ausdrücklichen Wunsch des Hofes „Kodrus“ von Cronegk und „Zaire“ von Voltaire auf die Bühne brachten, also Stücke mit so weit entlegenen Beziehungen, daß daraus Folgerungen für die Gegenwart nicht gezogen werden konnten, wie ja auch nur deren französischer, steif abgemessener Tragödienstil dem damals allein hoffähigen Zopf völlig entsprach. In den fast dreiundzwanzig Jahren, für welche ich die Aufführungen des Societätstheaters habe vollständig zusammenstellen können, nämlich von 1776 bis ins Frühjahr 1798, ward überhaupt an 155 Tagen gespielt, wobei 205 Stücke gegeben wurden, von denen aber nur 118 verschiedene waren; denn mehrere wurden wiederholt, Ifflands „Jäger“ sogar fünfmal gegeben – ein Zeichen der philisterhaften Geschmacksbildung der Zeit. Die 118 Stücke bestanden, außer den schon genannten zwei Trauerspielen, aus 15 Schauspielen, 94 Lustspielen – darunter zahlreiche von fünf Aufzügen – zwei Singspielen sowie fünf für das Societätstheater geschriebenen Divertissements und Festspielen. Um sich ein Urtheil über die Bedeutung des Repertoires zu bilden, wird man es am sichersten mit dem gleichzeitigen der hiesigen Hofschauspieler zu vergleichen haben. Nehmen wir die Festspiele aus, so ergiebt sich, daß von den übrigen 113 Stücken in der Zeit von 1776 bis 1798 45 lediglich vom Societätstheater gespielt worden sind, 9 wenigstens früher, als von der Bondinischen beziehentlich Secondaschen Gesellschaft, während es mit

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/205&oldid=- (Version vom 24.4.2024)