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V. Jahrgang          1896          Nr. 1.


Von diesen Blättern erscheinen jährlich 4 Nummern im Umfange von 1½ bis 3 Bogen. Bestellpreis für den Jahrgang 3 Mark. Die Vereinsmitglieder erhalten die Blätter unentgeltlich zugesandt.


Gottlob Friedrich Thormeyer.
Biographische Studie von Paul Ehmig.[1]

Jahr aus, Jahr ein steigen Tausende die Treppe der Brühl’schen Terrasse zu Dresden empor und lassen bewundernd deren glückliche Lage wie imposante Verhältnisse auf sich einwirken. Tausende tragen das Lob der Terrasse hinaus in die Welt, den Erbauer der weitbekannten Freitreppe weiß fast Keiner zu nennen. Keiner kennt heute den Mann, der ihnen allen den alten Festungswall zugänglich machte, wenige wissen seinen Namen, einzelne nur haben vielleicht eine Ahnung, daß das Leben eines längst verstorbenen Künstlers der „Zopfzeit“, wie der Hofbaumeister Thormeyer einer gewesen ist, nicht ganz interesselos sein könne. Der Lokalgeschichte Dresdens wenigstens sollte der Name des Erbauers der Terrassentreppe nicht verloren gehen.

Daß ein Mann wie Thormeyer so gänzlich der Vergessenheit anheim fallen konnte, liegt nicht ausschließlich in der üblen Gepflogenheit unserer Zeit, vergangene Leistungen, soweit sie nicht ersten Ranges, für nichts zu achten, vielmehr trug auch der Charakter des Künstlers, die Zersplitterung und das Unstäte seines Schaffens einen guten Theil der Schuld. Wäre sein Arbeiten konzentrirt gewesen, hätte er sich nur Einem Zweige der bildenden Künste hingegeben, lebte er heute sicherlich noch in vieler Munde, und hätte er einer anderen Zeit angehört, würde seine Bedeutung gewiß eine große geworden sein. Der Architekt – und ein solcher war Thormeyer doch der Hauptsache nach – hängt wie kein anderer Künstler vom Auftraggeber ab. Die Baulust der Zeit, deren wirthschaftliche Verhältnisse und deren Sinn für das Monumentale vermögen einem Architekten allein die Gelegenheit zu geben, sein Talent zu bethätigen. Die Zeit unmittelbar vor Thormeyer war eine solche Glanzperiode gewesen, ja man hatte sich überbaut. Die Folge hiervon mußte eine natürliche Reaktion sein, eine todte Zeit für den Architekten. Und unser Künstler hatte das Unglück, während seines ganzen Wirkens fast keine bedeutenden Aufträge zu erhalten.

Freilich war aber diese der Architektur so ungünstige Periode im Ganzen eine höchst merkwürdige, mächtig bewegte und wechselvolle, die Zeit vom letzten Drittel vorigen Jahrhunderts bis etwa zur Mitte des jetzigen. Welche ereignißschweren Momente verzeichnet die Geschichte jener Tage, welche Fülle von Kontrasten in politischer und sozialer Beziehung. Noch wirkten die Folgen des siebenjährigen Krieges nach, als die mächtigen Wogen der französischen Revolution und die Stürme der Kriegsjahre, das wilde Jahrzehnt des ersten Napoleonischen Kaiserreichs über Deutschland und in ganz besonderer Weise über unseres Künstlers engeres Vaterland Sachsen hinbrausten.

In einer Zeit der allmählichen, nur kümmerlichen Wiedererhebung, wie die Jahrzehnte nach dem Hubertusburger Frieden, in einer speziell für Dresden nicht eben erquicklichen Periode, in einer Zeit des Darniederliegens vieler Verhältnisse wurde dem Kaufmann Gottlob Thormeyer von seiner Frau Christiane Regine geb. Starcke am 23. Oktober 1775 ein Söhnchen geboren,


  1. Arbeit aus dem Deutschen Seminar der Königlichen Technischen Hochschule zu Dresden.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/244&oldid=- (Version vom 6.5.2024)