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Erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts fingen die Städte Meißens an, in der socialen und wirthschaftlichen Geschichte unseres Volkes eine Rolle zu spielen; ihre Verfassung gestaltete sich damals so um, wie sie dann im Wesentlichen – freilich in späteren Jahrhunderten stark entartet – bis zur Einführung der Städteordnung geblieben ist. Die Verwaltung ruhte in den Händen eines jährlich wechselnden Raths mit einem Bürgermeister an der Spitze; dieser Rath brachte nach und nach auch die Rechtspflege in seine Hände, für welche, wenigstens in den bedeutenderen Städten, ein besonderes Schöffenkolleg gebildet und ein Stadtrichter vom Rathe ernannt wurde. So war es auch in Dresden. Der stets wachsende Umfang der städtischen Geschäfte bewirkte die Entstehung einer städtischen Kanzlei, deren Anfänge ebenfalls bis ins 13. Jahrhundert zurück verfolgt werden können. In Dresden begegnen wir erst im Jahre 1377 (vgl. Maternihospitalrechnung von 1377 im Rathsarchiv) einem Stadtschreiber, und wenn das auch auf einem Zufall beruhen kann, so deuten doch auch andere Umstände darauf hin, daß die Entwickelung des Verwaltungsapparats hier langsamer vor sich gegangen ist als an anderen Orten, was ja begreiflich ist, da Dresden noch im 15. Jahrhundert ein recht bescheidenes Gemeinwesen gewesen zu sein scheint.

Der Stadtschreiber hatte nun nicht allein die Urkunden der Stadt auszustellen und ihre Korrespondenz zu besorgen, sondern er mußte alles niederschreiben, was im allgemeinen Interesse vor der Vergessenheit bewahrt bleiben mußte: Polizeiverordnungen und sonstige Rathsbeschlüsse aller Art, Verträge der Stadt besonders vermögensrechtlicher Natur, verhängte Aechtungen, Stadtverweisungen und sonstige Strafen, die Namen der Rathsmitglieder wie der neu aufgenommenen Bürger und vieles andere. Insbesondere aber nahmen ihn auch Privatangelegenheiten der Bürger in Anspruch. Um sich bei Verträgen aller Art, die man damals in der Regel nicht schriftlich zu machen pflegte, den leichten Beweis durch „Gerichtszeugniß“ zu sichern, war es schon früh üblich geworden, Rechtsgeschäfte vor Gericht abzuschließen oder doch zu verlautbaren; in Städten aber galt, wie dies bei dem engen Verhältniß zwischen Rath und Gericht ja erklärlich ist, das Zeugniß des Rathes als gleichwerthig mit dem des Gerichts, und so fanden denn jene Vertragsabschlüsse bald vor Gericht bald vor dem Rathe statt. Da man unmöglich vom Richter oder vom Rathe erwarten konnte, daß er all diese Dinge, über die sein Zeugniß entscheidende Bedeutung haben sollte, im Gedächtniß behalten würde, so war es Sache des Stadt– bez. des Gerichtsschreibers sie aufzuzeichnen.

Für seine Niederschriften mag er anfangs einzelne Pergamentblätter oder vielleicht auch Wachstafeln verwandt haben; bald aber ging man dazu über, Bücher dafür anzulegen. Schon im Jahre 1292 wird eines liber civium der Stadt Leipzig gedacht; es hat sich nicht erhalten, und ebenso ist ein im Jahre 1321 angelegtes Oschatzer Stadtbuch, aus dem uns Hoffmann, der Geschichtsschreiber von Oschatz, und der Dresdner Chronist Hasche interessante Mittheilungen hinterlassen haben, seit etwa 1820 spurlos verschwunden. Ein Grimmaer Gerichtsbuch von 1346, ein Leipziger Stadtbuch von 1359, ein Freiberger Stadtbuch von 1378 und ein Stadtbuch von Plauen i/V. von 1388 sind die ältesten uns erhaltenen Quellen dieser Art und zugleich die einzigen, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen. Unter den im 15. Jahrhundert entstandenen Stadtbüchern aber ist neben einem in derselben Zeit angelegten Freiberger unser Dresdner Stadtbuch das älteste.

Betrachten wir uns dasselbe etwas näher. Es ist ein Heft von 57 Pergamentblättern, deren erstes als Umschlag dient und die Spuren starker Benutzung zeigt, so daß die darauf befindlichen Notizen theilweise kaum zu entziffern sind. Angeheftet sind mehrere Lagen starken Papiers; sie enthalten in offenbar gleichzeitigen Abschriften Reden und andere Schriftstücke, die sich auf die Verhandlungen des Basler Konzils im Jahre 1433 beziehen, und bedürfen noch der näheren Untersuchung; für uns sind sie nur deswegen von Interesse, weil sie zeigen, daß man jene Verhandlungen in Dresden aufmerksam verfolgte.

Ueber die Anlegung und den Zweck des Stadtbuches spricht sich eine einleitende Bemerkung (fol. 1) folgendermaßen aus:

Sindmal der mensche von rechtir nature crank ist und mit der cziit vorgebt, so ist eine lere das (lies: des) wisin, was vor dem rate gehandilt wirt, da not an ist, das man das mit schriftlichir kuntschaft durch uncz der luthe in gedechtnis behalde. Darumbe wir burgere Hannus Czugczk burgermeister, Lorencz Busman, Hannus Buling, Nicolaus Hockindorff, Nicolaus Munczmeister, Mertin Kinast, Panil Goideler, Francze Lose, Hempel Helwig, Reinfrid Jockerym, Andr. Langciacoff und Andr. Vlman habin angesehen vorgessinheit eczlichir teding, die in czitin geschen sind, und habin gemacht diez buch durch nucz der gemeine uns und unsern nachkommendin, also was vor dem rate getedingit ist, das ingeschrebin wirt, das dicz buch uswisit, da sal nymand vorrichtin, umbe welchirleie das sie, und wer sine sache leßit inschribin, der sal dem schriber vier grosschin gebin und wer sich leßit usschribin, der sal dem schriber czwene groschin gebin.

Mit keinem Worte wird hier angedeutet, daß schon früher ähnliche Bücher geführt worden seien; man wird deshalb annehmen dürfen, daß diese lange Einleitung auf eine neue Einrichtung deutet und daß der Stadtschreiber sich früher mit Zetteln oder Wachstafeln beholfen hat. Die offenbar irrige Angabe eines alten Archivrepertoriums über ein „alt Stadtbuch und Stadtrecht“, das angeblich 1291 abgeschlossen worden sein soll (Richter, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte I, S. 153),

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/52&oldid=- (Version vom 31.3.2024)