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Dresdens Straßen und Plätze.
Vortrag, am 27. Januar 1892 gehalten
von
Dr. Otto Richter.

Es ist noch nicht lange her, daß die wissenschaftliche Forschung neben der Völker- und Staatengeschichte auch die Geschichte der einzelnen Städte und Ortschaften in den Bereich ihrer Thätigkeit gezogen hat. Bis auf die neuere Zeit war die Pflege der Ortsgeschichte fast ausschließlich Sache wohlmeinender aber ungeschulter Lokalpatrioten, die sie zumeist in der Art der alten Chronikenschreiber behandelten, indem sie sich auf eine Zusammenstellung der äußern Ereignisse beschränkten, ohne Verfassung und Recht, Kultur und Sitte gebührend zu berücksichtigen. Trotz aller Mängel aber erfreuen sich die alten Chroniken von der Zeit her, wo sie die einzigen Quellen waren, aus denen der Bürger Belehrung über die Vorzeit seiner Stadt schöpfen konnte, beim Volke auch jetzt noch eines großen Ansehens. „Die Chronik“, wie man schlechthin sagt, wird noch vielfach als eine Art Protokoll betrachtet, in welchem jedes Zeitalter genaue Kunde von sich niedergelegt habe. Diese Anschauung ist leider eine irrige. Die Chroniken, wie wir sie für die meisten unserer Städte besitzen, sind gewöhnliche, nachträglich zusammengestellte Bücher, in denen sich die ganze Harmlosigkeit der in früheren Jahrhunderten üblichen Geschichtsbetrachtung und -Behandlung widerspiegelt. Nicht blos daß die Chronikenschreiber oft die wichtigsten Urkunden, die sich ihnen als Quellen darboten, unbeachtet gelassen, nicht blos daß sie ganz unbeglaubigte und unwahrscheinliche mündliche Ueberlieferungen für Thatsachen genommen, haben sie es nicht selten sogar für unbedenklich gehalten, leere Zeiträume mit den Erzeugnissen ihrer eignen Phantasie auszufüllen! Natürlich ist unter diesen Umständen die Glaubwürdigkeit solcher Chroniken um so geringer, je weiter die erzählten Ereignisse in der Vergangenheit zurück liegen.

Die frühesten chronikalischen Nachrichten über unser Dresden stammen erst aus dem 16. Jahrhundert. Was in so später und so wenig zur Vertiefung in die Vergangenheit angelegter Zeit niedergeschrieben ist, müßte uns schon verdächtig erscheinen, auch wenn es nicht mit den auf anderm Wege zu ermittelnden Thatsachen in Widerspruch stände. Welch weitgehendes Mißtrauen hier am Platze ist, dafür einen einzigen Beleg: die im Jahre 1679 erschienene, in mancher Hinsicht treffliche Chronik von Antonius Weck nimmt an, daß die Burg Dresden bereits im Jahre 808 von Karl dem Großen angelegt worden sei; sie beruft sich dafür auf den mittelalterlichen Geschichtsschreiber Regino und weiß die betreffende Stelle wörtlich anzuführen. In Wirklichkeit aber findet sich von einer Erwähnung Dresdens in Reginos ganzem Werke nicht eine Spur! – Wie nun sollen wir denn zu der gewünschten Kenntniß von den Anfängen unserer Stadt gelangen, wenn eine Gründungsurkunde, wenn Berichte von Zeitgenossen nicht vorhanden sind? Gewiß, an schriftlichen Zeugnissen fehlt es gänzlich, aber es giebt einen Augenzeugen, einen stummen zwar, der sich jedoch zum Sprechen bewegen läßt, wenn man sich liebevoll mit ihm beschäftigt und ihm persönlich nahe tritt: dieser Zeuge ist unsere Stadt selbst!

Schon ihr Name bietet einen willkommenen Anknüpfungspunkt. Es lohnt nicht, näher auf die verschiedenartigen Deutungsversuche einzugehen, die man in früherer Zeit mit ihm angestellt hat, sie können bei dem heutigen Stande der Wissenschaft nur noch scherzhaft behandelt werden. So nimmt ein älterer Schriftsteller fälschlich an, daß der römische Feldherr Drusus Germanicus auf seinen Kriegszügen bis in unsere Gegend gekommen sei und hier eine monumentale Trophäe, ein Siegesdenkmal, errichtet habe: da soll nun der Name Dresden aus tropaea Drusi zusammengezogen sein! Ein anderer leitet ihn ab von den großen Teichen die um die Stadt herum lagen, den sogenannten drei Seen, und giebt deshalb dem Namen die auch heute nicht ganz ungewöhnliche Form „Dräsen“. In Wirklichkeit ist, wie Sie wissen, das Wort weder lateinischen noch deutschen, sondern slawischen Ursprungs. Aber auch die bis in die neuesten Chroniken fortgeschleppte Ableitung von einem slawischen Worte trasi, das „Fähre“ bedeuten soll, ist gänzlich haltlos, da es ein solches Wort in den slawischen Sprachen einfach gar nicht giebt. Vielmehr ist Dresden nach der Ansicht Sprachkundiger aus dem altslawischen Worte drezga, d. h. Wald, mit der zur Bezeichnung von Einwohnernamen dienenden Endung -jan gebildet, wie sie in der heutigen niederlausitzischen Form Drezdzany noch erkennbar ist, und bedeutet also: die Waldleute. Diese Deutung steht durchaus im Einklange mit den örtlichen Verhältnissen: die Dresdner Haide reichte ehemals bis dicht an den Ort heran und selbst das linke Elbufer war noch spät nicht weit oberhalb und unterhalb der Brücke bewaldet, erst im 15. Jahrhundert wurde die Gegend des heutigen Theaterplatzes aus Haideland in einen kurfürstlichen Schloßgarten umgewandelt.

Der Name also beweist uns, daß Dresden, wie fast alle Ortschaften unseres Elbthalkessels, ursprünglich eine slawische Ansiedelung gewesen ist. Einwandernde Sorben sollen während der Völkerwanderung die germanischen Bewohner dieser Gegend verdrängt und sich in Dörfern hier niedergelassen haben. Diese slawische Bevölkerung wurde im 10. Jahrhundert vom König Heinrich unterworfen und durch die von ihm ins Land

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/6&oldid=- (Version vom 23.4.2024)