erklärlich, zumal wenn man die Einladungen zum Halten gewisser Zeitungen liest. Da kündigt sich ein von zwei „relegirten Studenten“ herausgegebenes Journal unter dem Titel an: Journal für Menschenrecht, Volksrecht und Volksglauben. Der bestallte Censor, der Rektor der Kreuzschule Olpe, läßt es passiren, die Behörde verbietet es. Es kündigt sich an: „Jetzt ist der Zeitpunkt vorhanden, wo der Unterthan seine Jahrhunderte durch geraubten Rechte reklamiren darf; der Nebel ist verschwunden, der sonst die Augen der Fürsten verhüllte, der Wahn ist gehoben, nach welchem man die Regenten unmittelbar von Gott herschrieb, und selbst Fürsten fangen an zu fühlen, daß das Volk nicht um ihretwillen da ist.“ Nach Angabe des Inhaltes fährt es dann fort in einer uns durchaus nicht fremdartig berührenden großsprecherischen Weise: „Uebrigens können wir zur Empfehlung vor der Hand nichts sagen, als daß 51 Gelehrte in verschiedenen Gegenden Deutschlands daran arbeiten, daß 40 Correspondenten, deren Wahrheitsliebe wir sattsam geprüft haben, mit uns verbunden sind, daß zwei aus unserer Mitte, Männer von Rang und Gelehrsamkeit, seit zwei Jahren die Fürstenhöfe Deutschlands bereisen und Alles sattsam mittheilen und mitgetheilt haben und die geheimen Wege eröffnen, worauf so verschiedene Fürsten Deutschlands von ihren Dienern zum Nachtheil der Unterthanen berückt worden. Wer wider Hofkabale und Ministerdespotismus durch diese Zeitschrift an das unparteiische Publikum appelliren will, sende seinen Aufsatz und Beschwerden an eins der nachstehenden Postämter. (Das Journal erscheint monatlich, jedes Stück kostet 8 gr. sächs. und enthält 6–8 Bogen).“ – Es ergeht uns am Ende wie dem Rektor Olpe, der nichts Ungehöriges darin fand. Vermuthlich erkannte er, daß das gute Stück Aufschneiderei auf das lesebedürftige Dresdner Publikum berechnet war und daß der Inhalt – ganz im Tone der beginnenden französischen Revolution – sich nicht gegen die Fürstengewalt, sondern gegen die bevorrechteten Stände wendete. Das Journal spricht sich nicht anders aus als die Bürger unserer Stadt. „Unser Kurfürst,“ sagen sie, „ist ein Mann von Rechtschaffenheit, liebt sein Volk, wünscht es glücklich zu machen und hat diesen Wunsch auch schon durch eigene Aufopferung an den Tag gelegt. Unser Fürst hat Staatsbeamte, über deren Redlichkeit nur eine Stimme ist. Aber dieser Schwarm von Höflingen, diese dreifachen Wachen!“
Das sind die geringen Ansätze von politischem Leben; es steckt hier vollkommen in den Kinderschuhen, während drüben, jenseits des Rheins, der Franzose bereits den politischen Kreislauf vollendet hatte und von der absoluten Königsmacht zur absoluten Kaisermacht zurückgelangt war. Die Fackeln, die die deutschen Dichter auch nach dieser Seite hin angezündet hatten, leuchten, aber erleuchten noch nicht. Der harte Sinn, der der Bevölkerung von Haus aus fehlte und der nun einmal zur politischen Bethätigung gehört, sollte erst erwachsen aus dem Jahrzehnte dauernden Ringen nach staatlicher Freiheit.
Bei der Anlage der Bevölkerung gab sich denn ein bei weitem regeres geistiges Leben auf einem anderen, dem politischen geradezu entgegengesetzten Felde kund, auf dem Gebiete des Naturgenusses.
Der Dresdner des vorigen Jahrhunderts blieb bei seiner Gutmüthigkeit und Heiterkeit, bei seinem Sinne für Vergnügen nicht unberührt von der allgemeinen in Deutschland herrschenden Lust und Liebe zur Natur. Freilich nach der Ferne schweifte er nicht. Die Kenntniß von der Eigenartigkeit des Hochgebirges mochte er durch Hallers Lehrgedicht „die Alpen“ oder durch Goethes Reisen kennen gelernt haben; sie selbst zu sehen, dazu war dem einfachen Manne alle und jede Gelegenheit genommen. Schon die allgemeine Stimmung war gegen das weite Reisen. Ist es auch nicht verboten, ins Ausland zu gehen – wie dies einst in Brandenburg geschah – so freute man sich doch, daß der unsinnige Luxus des Reisens, der an die Zeit August des Starken erinnerte, endlich nachgelassen hatte. Dazu kam, daß die guten Verkehrsmittel mangelten. Wie bedenklich waren noch die Straßen und wie unvollkommen die Postanstalten! Wenigstens der schwedische Kammerrath von Ehrenzweig singt nicht das Lied von der Lust, die das Reisen gewährt, wenn er noch 1805 an den Kurfürsten Friedrich August schreibt: „So lange ich Reichspost oder preußische Post hatte, fand ich keine Ursache, meinen Entschluß (die Post zu benutzen) zu bereuen; aber wie erstaunte ich, als man mir in Jena (er geht von da nach Halle) den chursächsischen Wagen vorführte. Wie ist es möglich, daß in einem civilisirten Staate die Oberpostdirection solches Unwesen dulden mag.“ Und nun fährt er fort: „Ein Haufen blinder Passagiere, kein Stuhl, kein Sitz, keine Bedeckung, die stete Möglichkeit, vom Wagen herabzufallen. Es ist doch empörend, wenn man im deutschen Reiche für sein Geld nicht im öffentlichen Postwagen reisen kann, ohne der offenbaren Gefahr ausgesetzt zu sein, sein Leben zu verlieren oder zum Krüppel zu werden!“ – Unter bewandten Umständen blieben die damaligen Dresdner zu Hause und begnügten sich mit ihrer Stadt, vor deren Thoren – so lautet der wörtliche Ausdruck eines Besuchers – „die Empfindsamkeit ihren Thron aufgeschlagen hatte.“
Der Besucher spricht – wohl gemerkt! – von der Landschaft um Dresden vor 100 Jahren. Die seltsamen Verzerrungen der Natur, wie sie der Menschengeist im Zeitalter Ludwigs XIV. fertig gebracht hatte, waren bereits überwundener Standpunkt, gesprengte Felsen
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/61&oldid=- (Version vom 16.5.2024)