aber, Kohlenstaubwege, Fabriken, Eisenbahnen, Schöpfungen unserer Zeit, störten damals noch nicht den einheitlichen Eindruck der Landschaft. Wagte in jenen Tagen des Menschen Hand überhaupt an die Natur zu rühren, so setzte er vielleicht in inniger Verehrung derselben im engen Thale einen Altar der Wahrheit oder in praktischer Verwendung derselben auf luftiger Höhe ein Land- oder Winzerhaus.
Den Elbgeländen entlang von Meißen bis Pillnitz, im Weißeritzthal, im Thal der Röder tummeln sich die Schaaren – die abgeschlossenen, hinter der sächsischen Schweiz liegenden Thäler, sowie diese selbst, sind nur den Auserwählten vorbehalten – und in allen Tonarten, die das ganze Jahrhundert hindurch geklungen hatten, singt man am Ende der neunziger Jahre das Lied von den Reizen der Natur. Die Natur vom Standpunkte der Brauchbarkeit im Sinne von Brockes, die Natur als ein Werk der Allmacht Gottes nach Gellert, als ein Zufluchtsort für Weltmüde und empfindsame Schwärmer, als ein würdiger Gegenstand der Verherrlichung für dichterisches Pathos in der Art Klopstocks, Alles findet sich – oft geschmacklos durcheinander gemischt – in den Liedern oder Beschreibungen, die unsere Gegenden verherrlichen, nur nicht die Natur im Geiste Goethes. Er war hier noch nicht Führer geworden, und die Dichtenden – das dient zu ihrer Entschuldigung – waren keine Dichter.
Die Landschaft mit weicheren Zügen – damals noch bevorzugt – übt auch hier Anziehungskraft aus. Den Zschoner Grund und das Thal der Röder, das Seifersdorfer Thal, bewundern Einheimische und Fremde. Die Zierlichkeit desselben, die zusammengedrängte Vereinigung von kleinem Fluß und sanften Böschungen, der Ausblick auf Feld und das Hereinragen der Wiese, der stille Laubwald und das Verdecken der felsigen Gehänge durch ernsten, aber kleinen Nadelwald, das Alles war im Geschmacke der im Naturgenuß noch unverwöhnten Menschen. Traf nun gar der träumend Dahinwandelnde und mit den vielen damals angeregten philosophischen Problemen Beschäftigte auf ein Denkmal mit Sinnspruch, wie es im Seifersdorfer Thal der Fall war, dann bildete diese Vereinigung von Kunst und Natur „den Gipfel des Glückes.“ Deshalb finden wir die Bitte der Gräfin Brühl an Schiller um eine Aufschrift für den Altar der Wahrheit in dem genannten Thale berechtigt. Sein Genius soll das lauschige Plätzchen heiligen. Dagegen ist es auffällig, wenn ein gebildeter Mann wie Becker in seiner Ankündigung der Beschreibung desselben Thales also singt:
Was für ein Zauberlicht erhellet diesen Hain?
Welch’ hoher Glanz bestrahlt der Felsen Gipfel?
Gleich Geisterwehen rauscht es durch der Espen Wipfel,
Ein heilger Schauer bebt durch mein Gebein.
Ist dies der Elfen Sitz? Schwebt in Armidens Reichen
Mein trunkner Geist? Ist’s Spiel der Phantasie?
Ach, ist’s ein Traum der Götter? Mög er nie,
Der schöne Traum, aus meiner Seele weichen!
Hier ist Elysium! In diesem Wonnethal,
Ist, was bisher uns Dichtern nur gesungen,
Der höchsten Grazie, der Schönheit Ideal
Vollkommen nach der Wirklichkeit gelungen.
Die Kunst, mit der Natur verschwistert und im Bund
Mit ihr allein, selbst Göttern zu gefallen,
Geht mit der Schwester hier vertraulich Hand in Hand,
Ein Paradies entspringet, wo sie wallen, u. s. w.
Welche unklare Verschwendung großer Mittel für einen kleinen Zweck und wie wenig Naturtreue! Das Lied klang noch nicht von der Ilm herüber! Gleichwohl ist die Freude an der Natur schon durch die Abfassung des Beckerschen Werkes erwiesen.
Dasselbe gilt von einer anderen Arbeit Beckers, von seinem 1799 erschienenen großen Werke: Der Plauensche Grund mit Hinsicht auf Naturgeschichte und Gartenkunst. Das Werk half sicherlich einem allgemeinen Bedürfnisse ab. Einen klaren Ausdruck der Freude, die der Besuch des Weißeritzthales bereitete, fand ferner irgend ein Anderer in den Worten: „Der Plauensche Grund bleibt mir immer einzig, und so oft ich irgend ein felsiges Thal mit ihm vergleichen höre, so oft erhalte ich einen neuen Beweis, daß keiner von denen, die ihn kennen, einen passenderen Maaßstab zur Schätzung des Erhabenen und Edlen in der Natur zu finden weiß als eben ihn.“ – Freilich, trat an Stelle der Beschreibung die dichterische Schilderung, so zeigte sich alsbald Geschmacklosigkeit oder Schwulst. So singt einer in der Melodie: „Bekränzt mit Laub“:
Beschützt seist Du, wohlthätiges Gewässer,
Von Sachsens Genius!
Du bist zwar klein, doch auch im kleinen besser
Als mancher große Fluß.
Kein Riesenfisch wälzt sich in Deinen Wellen,
Kein fetter Lachs, kein Stöhr.
Doch Du bist reich an lieblichen Forellen,
Und brauchst Du wohl noch mehr?
und weiter:
So rinne denn, Du Königin der Bäche,
Mit Sümpfen unvermengt,
Dir immer gleich, bis tiefer in der Fläche
Die Elbe Dich empfängt.
O Weißritz, laß der ganzen Gegend Scenen
Durch Dich verschönert sehn,
Wenn dieser Stadt verehrungswerthe Schönen
An Deinem Ufer gehn.
Die nicht minder leicht erreichbare Lößnitz und die Loschwitzer Berge gaben Gelegenheit, sich ihrer stets zu freuen. Die zahlreichen Landhäuser, die vielen Vergnügungsorte auf den Weinbergen und ihr reger Besuch,
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/62&oldid=- (Version vom 16.5.2024)