die Lust, jede Jahreszeit sich dort zu belustigen, beweisen es zur Genüge. Und es ist nicht bloß die eben gewonnene sorgenfreie Stellung, nicht bloß der Verkehr mit gleichgestimmten Menschen, es wirkt gewiß auch die Landschaft mit ihrer Ruhe und ihrer Heiterkeit auf das erregte Gemüth des Dichters des „Don Carlos“, wenn er am 13. September 1785 an Huber schreibt: „Abends gegen 5 Uhr fuhren wir nach dem Weinberge, unterwegs fand ich die himmlischste Gegend. Die Aussicht von dem Gartenhäuschen und der Untergang der Sonne soll ganz zum Entzücken sein. Alles hier herum wimmelt von Weinbergen, Landhäusern und Gütern.“ „Himmlisch“, das traf das Herz der Dresdner.
Der Dresdner lebte zu viel in dieser Natur, als daß er sich daran nicht gewöhnt hätte, aber der zahlreich zuwandernde Fremde wies ihn stets darauf hin und hielt den Sinn wach. Der Fremde war es auch, der die für die große Menge noch verschlossene sächsische Schweiz zu erschließen anfing. Die Bahnbrecher sind die fremden, besonders schweizerischen Künstler an der Akademie. Sie sind es, die die Aehnlichkeit der hiesigen Gegend mit der schweizerischen zuerst hervorheben und darum vielleicht als Urheber des Namens „Sächsische Schweiz“ angesehen werden müssen. Ihrem Griffel verdankt die landschaftliche Schönheit Sachsens ihren weiteren Ruhm. Ihren Spuren folgen, aber immer nur vereinzelt, ein Götzinger, ein Veith mit Beschreibungen der Schweiz, und diesen wieder schließt sich der fremde Wanderer der neunziger Jahre an und in seinem nie fehlenden Reisewerke überlegt er bereits, ob die Aussicht vom Porsberge oder vom Königsteine schöner sei, und giebt auch den Rathschlag, Hohenstein, Schandau zu besuchen. Schwer zugängliche Wege und Mangel an jeder Bequemlichkeit – giebt es doch in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts nur Bauernhäuser, in denen man absteigen kann – halten ihn um so weniger ab, je klarer in ihm das Bewußtsein von der eigenthümlichen Schönheit der sächsischen Schweiz wird. Und daß es auch damals Männer gegeben hat, die das Elbthal in seiner landschaftlichen Schönheit zu schildern wußten, das beweist Theodor Körner mit seinen Liedern. Doch er, unter besseren Einflüssen aufgewachsen, war nur der Geburt nach Dresdner.
Eine Thatsache muß Jedem befremdlich erscheinen. Der Sinn der damaligen Bevölkerung für Natur ist groß; die Landschaft selbst um Dresden ist wunderbar vielfach gestaltet, heute wie damals; der Zustrom der Fremden ist schon vor 100 Jahren ein bedeutender und deren Begeisterung für die Umgebung der Stadt tönt täglich in die Ohren der Einheimischen; Goethe und Schiller endlich haben 1799 bereits gezeigt, wie man die Natur verwendet – und trotzdem sind die auf Dresdner Boden erwachsenen dichterischen Verherrlichungen der Natur geschmacklos, weichlich, empfindsam. Das führt zu der Frage: Wie steht es mit dem geistigen Leben im engeren Sinne, mit dem litterarischen, künstlerischen, wissenschaftlichen Leben Dresdens im Jahre 1799?
Die Wissenschaften im modernen Sinne waren allerorten in Europa erst im Aufgehen begriffen; dasselbe war der Fall mit Malerei und Plastik. Nur die deutsche Musik und die deutsche Dichtkunst standen auf ungewöhnlicher Höhe; ja die deutsche Litteratur hatte sich der Herrschaft der Welt bemächtigt. Auf die Frage: Hat Dresden schon 1799 theilgenommen an dem neuen Leben, muß mit Nein geantwortet werden. Das ist um so überraschender, wenn man die Entwickelung der Stadt in unserem Jahrhundert sich vergegenwärtigt. Hier lebte später in hohem Ansehen das Haupt der romantischen Dichterschule, Tieck; hier war lange Zeit ein Jungdeutscher, Gutzkow, beschäftigt; hier feierte die romantische Musik unter C. M. v. Weber ihre Triumphe; hier wirkten später ein Schnorr, L. Richter, Semper, Bendemann, Rietschel, hier waren anerkannte Theatergrößen Jahrzehnte lang thätig. Gewiß hat in erster Linie zu solcher Hebung der Stadt in unserem Jahrhundert die Fürsorge der Regierung mitgewirkt. In zweiter Linie kommt die Lage der Stadt, das billige Leben und vor Allem der günstige Nährboden in Betracht, den irgend welche Bestrebungen in der Anlage und den Neigungen der Bewohnerschaft finden. Nun ist es ganz sicher, daß die materiellen und geistigen Grundlagen, auf denen das Dresden von 1799 und z. B. das von 1830 standen, sich so wesentlich nicht verschoben haben. Das Leben um 1799 ist nicht theuerer als im Jahre 1830, um ein Drittel billiger als in Leipzig, viel billiger als in Berlin; die Umgebung der Stadt ist immer dieselbe geblieben; die Anlage der Bevölkerung, ihre Neigungen sind musikalischen und Theatergenüssen immer zugewendet gewesen, ihr Wesen war immer ein gutmüthiges und friedfertiges, ohne steifes Rückgrat und geneigt, alles Besondere, selbst Absonderliche zu bewundern. Vergesse man doch nicht, daß der seltsame Personenkultus der sogenannten Stadtoriginale bis zum Anfang des Jahrhunderts zurückreicht!
Der auffällige Gegensatz des künstlerisch thätigen und angeregten Dresdens unseres Jahrhunderts und des theilnahmlosen Dresdens vom Jahre 1799 muß seine Erklärung theils darin finden, daß die gewaltigen Ereignisse der napoleonischen Zeit den engen Gesichtskreis der Bewohner dieser Stadt bedeutend erweitert und ihren Sinn für vieles Neue erschlossen haben, theils auch in dem verschiedenen Verhalten der sächsischen Fürsten in jener und der späteren Zeit.
Wie schon gesagt, war der Dresdner, in Ermangelung einer öffentlichen Meinung, auf eine persönliche Führerschaft
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/63&oldid=- (Version vom 16.5.2024)