angewiesen, wenn er neue Wege einschlagen sollte. Zu dieser Führerrolle war nach der damaligen Auffassung vom Staate und Herrscher zunächst der Herr des Landes berufen. Friedrich der Große hatte ein glänzendes Beispiel gegeben. Kurfürst Friedrich August war dieser Aufgabe nicht gewachsen, sein Blick war mehr in die Vergangenheit als in die Zukunft gerichtet, seine ganze Art war streng abgeschlossen und beharrte mehr als ernst auf dem Alten. Das mußte die Verhältnisse der kleinen Residenz stark beeinflussen und auch die gedeihliche Entwickelung von Männern, die durch Geistesanlagen zu Führern ihrer Mitbürger bestimmt waren, hemmen. Damit ist nicht gesagt, daß der Kurfürst etwa künstlerischen und wissenschaftlichen Bestrebungen ohne Verständniß gegenüber gestanden hätte. Er hatte von seiner geistvollen Mutter Marie Antonie das Interesse für Kunst geerbt, war Virtuos auf dem Clavier und Komponist des heute noch gehörten Salve regina. Ferner war Gellert – damals allerdings litterarisch betrachtet bereits überwundener Standpunkt – von ihm hoch geschätzt. Er hatte, wenn auch vergeblich, Lessing und den Philologen Heyne zu Oberbibliothekaren der kurfürstlichen Bibliothek zu gewinnen gesucht. Auch verschloß er sich nicht den dringenden Forderungen seiner Zeit. Zu den schon bestehenden Schulanstalten wurde das Friedrichstädter Seminar neu hinzugefügt, Nicolai und Dinter wurden berufen. Man fing auch hier an, die Gesetze in fridericianischer Art zu handhaben, man kämpfte durch öffentliche Vorlesungen auf medizinischem und naturwissenschaftlichem Gebiete, durch Benutzung mineralischer Heilquellen, durch Einimpfung der Pocken, durch Einführung neuer Erfindungen (1776 des Blitzableiters) gegen den durch die lebhafte Phantasie jener Tage und durch Schwarzkünstler aller Art genährten Aberglauben an. Auch der still wirkende Gelehrte fand allenfalls noch sein ruhiges Dasein. Adelung war hier kurfürstlicher Oberbibliothekar, Hasche schrieb seine Geschichte der Stadt Dresden, der Rektor der Annenschule, Heymann, verfaßte sein Künstler- und Gelehrtenlexikon. Allein was bedeutet das Alles gegen die gewaltige Erhebung der Geister und gegen die bedeutenden Schöpfungen zumal auf litterarischem und musikalischem Gebiete außerhalb der Mauern dieser Stadt. Es kommt hier Keiner auf oder es kommt Keiner her, der am Webstuhl der Geschichte mitarbeiten kann. Die beiden einzigen, die hier genannt zu werden verdienen, sind durch ihre Berufsthätigkeit gewissermaßen auf bestimmte Ideenkreise hingewiesen und wirken allein anregend als Redner auf ethischem Gebiete. Das ist der katholische Hofkaplan Schneider, der sich bereits vorher in Leipzig eines besonderen Rufes bei der Studentenschaft erfreut hatte, und der noch heute im Andenken alter Dresdner hochstehende Oberhofprediger Reinhard. Seine Predigten anzuhören, galt als Genuß; sie, die in mehr als eine lebende Sprache übersetzt wurden, thaten den Besten der Zeitgenossen Genüge, seine Wirksamkeit für Schule und Kirche war bedeutsam. Ihm, dessen Liebling Polybius war, dem die orientalische Bibelsprache und die drei Hauptsprachen Europas bekannt waren, der Philosophie und Geschichte mit Vorliebe trieb, der in seinem Studierzimmer die Büsten von Luther und Klopstock vor sich hatte, ihm waren Zeitgenossen und Zeitverhältnisse sicherlich doch kein Räthsel; er war ja auch ein Aufklärer des Volkes im besten Sinne, nur konnte er, wie schon gesagt, allein auf dem von ihm erwählten Gebiete wirken.
Wohin wir aber sonst sehen, es fehlt an Männern, die Vertreter der neuen Ideen waren, die dem Volke Lehrer werden konnten auf dem neuen Wege, die der Volksseele das erschließen konnten, was bisher ausschließlich geistiges Eigenthum der höheren Stände gewesen war, d. h. Kunst und Litteratur. Man beachte doch nur, wie günstig der Boden in Dresden für solche Erschließung war. Die großen Kunstsammlungen der beiden Auguste waren doch unvergessen, und die Winckelmann, Herder, Lessing, Goethe bewunderten sie auch. Wen trifft nun die Schuld, daß sich der alte Körner bitter beklagen durfte: Wir haben gar keinen Bildhauer hier? Wen trifft die Schuld, daß die Architektur seit dem Tode des Krubsacius ungepflegt daniederliegt, der in seinen Bauten, dem Ständehaus auf der Landhausstraße mit den mächtigen toskanischen Säulen und dem gewaltigen Treppenhause, sowie in dem Prinzenpalais auf der Zinzendorfstraße zur klassischen Richtung zurückgekehrt war? Und wenn die Malerei und Kupferstecherkunst bessere Vertreter hat, so ist das auch mehr die Folge älterer Einrichtungen als die des Eingreifens des Kurfürsten.
Wesentlich wirkte hier die Akademie. Hagedorn, der einstige Organisator und Direktor der Akademie, hatte persönlich zwar das Kunstwerk nur vom Standpunkte der technischen Vollendung angesehen, war aber doch durch Berufung bedeutender Künstler ein Förderer der Kunst geworden. Aber Männer wie Casanova, Dietrich, Canaletto sind bereits gestorben oder weggezogen. Ein einziger blieb noch übrig, der von Körner und Schiller hochgeschätzte Schweizer Anton Graff, dessen hervorragende Gabe, den Charakter des Gemalten scharf auszuprägen, außer anderen Bildern der Galerie sich auf dem im Körnermuseum befindlichen Bilde Schillers zeigt. – War es mit der Kupferstecherkunst noch besser bestellt als mit der Malerei, so hatte allerdings der Kurfürst das Verdienst, dem bedeutendsten Vertreter dieses Faches, dem in Paris gebildeten Zingg, die Erlaubniß gewährt zu haben, die ihm gefälligen Landschaften im hiesigen Lande, mit Ausnahme des Königsteins, zu zeichnen, allein der bedeutsame
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/64&oldid=- (Version vom 16.5.2024)