Einfluß, den diese Kunst als Erzieherin des Volkes ausübte, war doch besonders der Unternehmungslust der Buchhändler zu danken, die wußten, wie gern mit Kupferstichen versehene litterarische Werke vom Publikum gesehen und gekauft wurden. Das Leben, das sich in dieser Kunst entwickelte, war ein regeres. Mochte Zingg im Einzelnen „manierirt“ sein, so war er doch ein verdienstvoller Mann. Er, der Weitgereiste, ist vielseitig in der Darstellung von Thieren, Bäumen, Figuren und Landschaften; er ist ein schöpferischer Künstler als Bearbeiter der Landschaften des sächsischen Landes, des Erzgebirges, des Weißeritzthales, der sächsischen Schweiz, deren Schönheiten er auch dem nichtsächsischen Publikum bekannt macht; er ist vor Allem ein anregender Lehrer seiner Schüler. Aus seiner Werkstätte geht der Landschafter Klengel hervor, mit derselben peinlichen Ausführung der Einzelheit und der Zartheit in den Stimmungsbildern, geht auch hervor der Vater Ludwig Richters. Und wenn es auch erst dem Pathenkinde Zinggs, Ludwig Richter, gelingen sollte, die mechanische Darstellung des Baumschlages seines Pathen in eine naturgetreue zu verwandeln, wenn es auch ihm erst glückte, der thaufrischen Frühlingsnatur mit ihrer Klarheit der Luft auf Wiese, Blume und Blatt das Geheimniß ihrer wahren Nachahmung zu entlocken, so hatte Zingg doch den Grund dazu gelegt.
Viel wirkungsvoller als auf den genannten Gebieten konnte und hätte sich der Einfluß des Kurfürsten in der Musik geltend machen müssen. Hier waren geradezu glänzende Vorbedingungen gegeben. Der Kurfürst ist hier Fachmann und Liebhaber, der Sinn der Bevölkerung für Musik wird stets wachgehalten. Der Sängerchor der Kreuzschule, früher unter seinem Kantor Homilius, damals unter Weinlig, wirkt in der Kirche, auf der Straße, bei Hofe. Die kurfürstliche Kapelle unter ihren Meistern Naumann, Schuster, Seidelmann, mit der Fülle von Künstlern ersten Ranges (damals besonders den Flötisten Götzel und Printz, dem Oboisten Besozzi, den beiden Clarinettisten Roth), wirkt bei jedem Hochamte in der katholischen Kirche, und das Anhören desselben, wo Gesang, Orgel und Instrumente zu einer „wahren Feenharmonie“ verschmelzen, wird von allen Fremden aufs angelegentlichste empfohlen. „Die Musik befinde sich hier auf dem Gipfel der Vollkommenheit.“ Endlich unterhält der Fürst eine italienische Oper.
Gerade auf dem Gebiete der Musik zeigte sich das Ringen der alten und neuen Richtung, aber zugleich auch das Beharren des Kurfürsten auf Seite der ersteren. Erklärlich, aber nicht entschuldbar war dies Beharren. Zunächst waren die italienischen Sänger und Kapellmeister gegen das Aufkommen der deutschen Musik. Sodann konnte der Kurfürst die Meinungen gestorbener und noch lebender Zeitgenossen für die ältere Musikrichtung ins Feld führen. Seine musikalisch vorzüglich gebildete Mutter beschwerte sich über den Lärm Mozartscher Kompositionen; Friedrich der Große äußerte einmal: Lieber möchte ich mir von einem Pferde eine Arie vorwiehern lassen als eine Deutsche in meiner Oper zur Primadonna haben. Schiller, ein Verehrer von Gluck, nannte Haydn’s „Jahreszeiten“ einen Mischmasch. Immerhin gehörte der Kurfürst einer vorgerückteren Zeit an; seine Stellung schloß die Pflicht in sich, dem anderwärts für groß Geltenden sich nicht zu verschließen. Das that er; denn wenn er auch Mozartsche Clavierkompositionen für sich spielte, so wissen wir doch, daß nur einmal, 1781, Mozarts „So sind sie Alle“ zur Aufführung kam, im übrigen aber die Lieblingsspeise des Fürsten, die erheiternde opera buffa, vorgesetzt wurde. Der Ton der Mißstimmung darüber, als ob Gluck, Mozart, Haydn erst geboren werden sollten, liest sich sehr vernehmlich aus den Berichten der Dresden besuchenden Fremden heraus.
Zum Glück lag die deutsche Oper nicht ganz brach, so daß die Bewohner der Stadt wenigstens eine Ahnung der draußen herrschenden Frühlingspracht bekamen. Die Gesellschaft des Joseph Seconda, die in dem Fachwerkhause auf dem Linkeschen Bade spielte, pflegte die deutsche Oper neben vielen französischen und italienischen Operetten. Mit einer Art von Ehrfurcht lesen wir in den damaligen Zeitungen: 1791 Mozarts Entführung, 1793 die Zauberflöte, 1795 Figaro, 1796 Titus, und mit noch größerer Spannung verfolgen wir die Tageskritik, die den unmittelbaren Eindruck wiederspiegelt. Mit Freude finden wir, daß die Zauberflöte fünfmal hintereinander aufgeführt wird und zwar mit erhöhten Eintrittspreisen. Wundern wir uns auch, wenn wir vom 9. Juli 1793 lesen: „La Cifra von Salieri, nach der Zauberflöte wol eine der beliebtesten Opern,“ so klingen doch die Worte der Kritik vom 9. August desselben Jahres über die Zauberflöte wie Musik: „Diese Oper ist das Meisterwerk und der Schwanengesang des großen Mozart, eines Mannes, dem keiner unserer lebenden Tonsetzer an Reichthum und Ueppigkeit und doch auch an Mäßigkeit und Nüchternheit der Phantasie, an schmelzenden Melodien, an Gesang und an Ausdruck gleichkommt. Nur für den empfindsamen Menschen sind seine Harmonien; ein Triller-Publikum – der Hieb ist verständlich – ist nicht für seine Göttertöne empfänglich.“ – Die Wuth, die der Kritiker gleich darauf bekundet, daß sogar das Logenpublikum den unwürdigen Possen Schikaneders unverdienten Beifall gespendet habe, ist ja nicht ungerechtfertigt.
Der letzte und wichtigste Maßstab, noch verläßlicher als die Musik, an dem am Ende des vorigen Jahrhunderts das geistige Leben der Stadt gemessen werden kann, ist die Litteratur. Goethe und Schiller sind
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/65&oldid=- (Version vom 16.5.2024)