Geschmack mehr auf realistische Naturwahrheit als auf Schönheit hingeleitet. Die Theaterzettel zwischen 1789 bis 1800 weisen auf: „Julius von Tarent“, Shakespeare, Goldoni je einmal, „Fiesko“ zweimal, aber Iffland 23 mal und Kotzebue 32 mal. Rechnet man noch hinzu, daß das Publikum sich die lächerlichste Theatercensur gefallen ließ, eine Censur, die den Namen Gottes in der „Jungfrau von Orleans“ auszusprechen verbot, die die Scene in der „Emilia Galotti“ strich, wo der Prinz wie im Schlafe ein Todesurtheil unterschreibt, so sind die harten Urtheile eines Schiller, der von Dresden als von einer Wüste, Seumes, der von Engbrüstigkeit spricht, so ist auch die tiefe Verstimmung erklärlich, die durch den ganzen Körnerschen Kreis geht.
Unter solchen Verhältnissen ist auch das Verhalten des alten Körner verständlich. Der hohe und treue Staatsbeamte bannte Menschen der neuen Zeit und Ideen der neuen Zeit in die vier Wände seines Hauses, jenes Hauses, das die hohe Gestalt des Dichters des „Carlos“ so oft durch den breiten Thürbogen gehen sah. Wurde Theodor Körner ein Anderer als die übrigen Dresdner, dem Einflusse dieses Hauses ist es allein zu danken. In die Tüchtigkeit, zu dem Schatze edler Empfindung, in die reife, lichtvolle, durchdachte Gedankenwelt dieses Hauses flüchtet sich der bessere Einheimische: Reinhard, Adelung, Graff, Naumann (Komponist der „Ideale“), von Racknitz, von Burgsdorf, von Einsiedel, Elise von der Recke und ihre Schwester. Hier waren willkommene Gäste die Schiller, Goethe, Humboldt, Schlegel, die Herzogin von Weimar, die Schwiegermutter Schillers und seine Schwägerin Karoline von Wolzogen. Von hier aus schafft der alte Körner am Webstuhl der Zeit mit wissenschaftlichen und künstlerischen Schriften. Hier entstehen seine „Briefe aus Sachsen an einen Freund in Warschau“, sein Buch über die Presse, über den staatswirthschaftlichen Werth des Menschenlebens, über die Brauchbarkeit statistischer Tabellen für freiere, menschenwürdigere Auffassung des Lebens. Hier werden seine Kritiken geschrieben über zeitgenössische Meisterwerke, auf die Schiller so großen Werth legt. Hier entstehen die Kompositionen zu Amaliens Lied, zum Lied an die Freude, zu Goethes Fischer, zu Herders, Klopstocks und auch zu den Liedern des eignen Sohnes. Hier werden die Lieder gedichtet, die zu häuslichen, also ganz privaten Zwecken dienend, doch die Sprache der neueren Zeit schon sprechen, doch die Gedanken und Empfindungen der neuen Zeit wiederspiegeln. Hier flutet bereits jenes Leben, das Dresden einige Jahrzehnte später berühmt machen sollte. Hier ist nicht mehr Werden, hier ist bereits Vollendung.
Daß eine so groß angelegte Persönlichkeit wie die des Kurfürsten Moritz von Sachsen nachhaltigen Einfluß auf das Geistesleben ihrer Zeit ausüben mußte, begreift sich leicht. Nicht zuletzt sind es auch die schönen Künste, die sich in den Dienst dieses hervorragenden Geistes stellen. Er selber dichtet zwar nur ganz ausnahmsweise; er selber ist zwar kein Musiker und kann nur ganz wenig das „Clavicord“ spielen; er selber versteht zwar von Malerei oder Baukunst nicht gar viel, ja Georg Arnold sagt von ihm: er habe außer im Lesen und Schreiben keine Kenntniß in den Wissenschaften, nur die Verehrung gelehrter Männer in sich gehabt, und doch blühen Wissenschaften, blühen Künste unter ihm glänzend auf, gleichsam als drängten sie sich darnach, für einen der besten Männer seiner Zeit das Beste einzusetzen. Diese künstlerische Ein- und Nachwirkung des Kurfürsten Moritz ist bisher noch von keinem Biographen eingehend gewürdigt. Langenn, immer noch der einheitlichste Darsteller, thut diese Kunstfrage mit einer Seite ab. Sie erscheint mir aber wichtig genug, einmal behandelt zu werden; nur muß ich mich bei der erstaunlichen Reichhaltigkeit des Stoffes auf eine Beleuchtung der Hauptsachen beschränken und will heute nur in großen Zügen zu erzählen versuchen, wie die Persönlichkeit Moritzens in den schönen Künsten zur Verwerthung gekommen ist.
Die dichtende Kunst zunächst begleitet den Fürsten durch sein ganzes reiches Thatenleben hindurch. Die früheren Jahrhunderte, die ja keine Zeitungen in unserem Sinne besaßen, drückten ihre politischen Empfindungen auf „fliegenden Blättern“ im Volksliederton aus. Diese historischen Volkslieder, die wirklich gesungen wurden, sind nun auf Moritz sehr zahlreich. Man könnte mit Fug und Recht versuchen, eine Geschichte Moritzens nach den Dichtungen auf ihn zusammenzustellen, die der Wahrheit nicht entbehren würde aus einer Zeit, der die Dichtung noch immer die Krone des Lebens war.
Schon 1541, als Moritz 20 Jahre zählte, setzt die historische Poesie für ihn ein. Es fällt dies in die Zeit des großen Türkenkrieges, zu dessen Führung auf dem Regensburger Reichstag der Kurfürst Joachim von Brandenburg unter Beiordnung von 10 Kriegsräthen zum obersten Feldhauptmann bestellt war. Auch der junge Herzog Moritz machte den Feldzug mit. Mangelhaft an Zahl, Proviant und Artillerie ausgestattet, rückte das Heer von Wien aus und ging bei Waitzen über die Donau. Vor Pest, wo man eine
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/67&oldid=- (Version vom 19.6.2024)