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jungen Dame mit der ihm eigenen herzgewinnenden Freundlichkeit bis an die Thüre entgegen und unterhielt sich mit ihr in französischer Sprache ziemlich lange in der liebenswürdigsten Weise. Jedes Wort dieses Gespräches war ihr noch im hohen Alter geläufig. Unnachahmlich aber sind die jugendliche Lebendigkeit, die geistige Grazie und der schelmische Humor ihrer Darstellung, wenn die verehrte Greisin solche Episoden aus ihrem langen und stillbewegten Leben einem lauschenden Freundeskreise monodramatisch vorführte. –

Der Vollständigkeit halber möge hinzugefügt werden, daß inzwischen auf dem Platze vor dem Schwesternhause die Schulkinder und die jungen Mädchen der schon damals bestehenden Pensionsanstalt sich versammelt hatten und beim Heraustreten Sr. Majestät den Liedervers: „Nun danket alle Gott“ anstimmten. Der Kaiser blieb, mit sichtbarer Rührung dem Gesange zuhörend, entblößten Hauptes in der Mitte der Kinder stehen und küßte einige der Kleinen, welche ihm Blumen darreichten. Endlich, vor der gegen 1 Uhr Mittags erfolgten Rückkehr nach Mengelsdorf nahm der Kaiser noch eine Adresse des Direktoriums der Brüderkirche aus der Hand des Bruder Goldmann huldvoll entgegen, in welcher die Herrnhuter Gemeinden seinem Schutze empfohlen wurden.[1]

Drei Tage später, am 24. April 1813 war es, als Alexander I. und Friedrich Wilhelm III. in Dresden einzogen. –

Die beiden Damen eilten aber nun auch wieder nach Sohland, um von etwaigen kriegerischen Ereignissen auf ihrem Posten gefunden zu werden. Von der bald darauf am 20. und 21. Mai 1813 gelieferten Schlacht bei Bautzen wurde Sohland nicht unmittelbar, sondern nur durch Truppenmärsche und Einquartierung betroffen. –

Der Besitzer der Güter, Henriettens älterer Bruder Ernst v. d. Sahla, hielt sich nur selten dort auf, anfänglich wegen seiner Studien, später weil er mancherlei Reisen unternahm. Unruhigen und ziemlich excentrischen Wesens, wie er war, verkaufte er Anfangs 1815 den gesammten Familienbesitz an seine inzwischen großjährig gewordene Schwester, [2]verließ darauf die Heimath und starb noch im nämlichen Jahre im Auslande. Mit ihm ist sonach schon im Jahre 1815 die Familie v. d. Sahla im Mannesstamme erloschen. –

Fräulein Henriette hat dann, unterstützt von ihrer durch den Verlust des einzigen Sohnes tief erschütterten Mutter, mit ebensoviel Eifer als Geschick sich der Verwaltung ihrer Güter gewidmet. Für das Landwirthschaftliche hatte sie ein lebhaftes Interesse und ein nicht gewöhnliches Verständniß. Beispielsweise ist es ihr gelungen, ein Verfahren zu entdecken, durch welches der Flachs, ohne ihn der üblichen vorgängigen Röste unterwerfen zu müssen, in einen sofort spinnbaren Zustand versetzt wird. Das Recht auf diese, wie versichert wird, nicht unwichtige Erfindung ist seiner Zeit in den Besitz einer bekannten landwirthschaftlichen Autorität übergegangen, merkwürdiger Weise aber im Großen bis jetzt noch nicht praktisch verwerthet worden.

Viel Freude fand sie von Jugend auf bis in ihr Greisenalter an der Malerei. Anregung, Unterweisung und Förderung auf diesem Gebiete hatte sie – wie hier aus ihrer früheren Jugendzeit nachgetragen werden mag – mag durch Karl Christian Vogel von Vogelstein, den nachmaligen Hofmaler und Professor an der Dresdner Kunstakademie, erhalten, welcher schon als junger Mann, ehe er (1813) nach Italien ging, Wochen und Monate lang als gern gesehener Gast in Sohland weilte.

Von seiner Hand, in Blei und Buntstift ausgeführt, existirt ein Brustbild Henriette’s v. d. Sahla etwa aus ihrem 14. Lebensjahre.

Sohland a. d. Spree (im 12. Jahrhundert den Herren von Schleinitz gehörig und damals einen Theil des von Hohnstein bei Stolpen bis nach Böhmen hineinreichenden sogen. „Schleinitzer Ländchens“ bildend), bekanntlich eines der wichtigsten Weberdörfer des Markgrafenthums Oberlausitz, umfaßt, außer den mehrgenannten beiden Gütern Ober- und Mittel-Sohland, welche Ausgangs des 17. Jahrhunderts in Sahla’schen Besitz gelangt waren, noch zwei weitere Rittergüter: Nieder- und Wendisch-Sohland. Der Ort liegt drei Stunden südlich von Bautzen in einem freundlichen, von Bergen eingefaßten Thale, welches 1 1/2 Stunden breit und 2 Stunden lang, in seinem unteren Theile von der Spree durchflossen wird und dessen südliche Berge schon Böhmen berühren.

In der Zeit nach Beendigung der Freiheitskriege bis in die erste Hälfte der fünfziger Jahre beherbergte Mittel-Sohland in seinem Herrenhause fast in jedem Sommer zahlreiche Gäste, deren Anwesenheit keineswegs bloß dem geselligen Vergnügen galt, sondern mehr noch als Bethätigung des Wohlwollens und des Samaritersinnes der Sahla’schen Damen bezeichnet werden muß. Leidende und Erholungsbedürftige nicht nur aus Verwandten- und Bekannten-, sondern auch aus anderen Kreisen, darunter viele Angehörige der Herrnhuter Brüdergemeinde, wurden eingeladen und genossen Monate lang die Wohlthat eines die Gesundung fördernden Aufenthaltes in waldreicher Gegend. Nicht geringer waren die Annehmlichkeiten, welche


  1. Dieser Kaiserbesuch ist in dem „Diarium der Brüdergemeinde zu Herrnhut v. J. 1813“ ausführlich beschrieben. Gütige Mittheilung des Herrn Pastor emer. Glitsch, Archivar der Brüder-Unität.
  2. Bautzener Lehnsakten.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/86&oldid=- (Version vom 28.4.2024)