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die tiefe Wunde ihres Herzens soweit vernarben, daß sie, unter dem gleichzeitigen Eindrucke der Neuheit der Verhältnisse, die frühere Daseinsfreudigkeit wiedergewann. So hat sie, wie schon Eingangs erwähnt wurde, fast siebenunddreißig Jahre lang noch unter uns gelebt, behaglich für sie selbst und zur genußreichen Freude des sie umgebenden Kreises, aber auch zum Segen für viele Andere. Dem anspruchslosen und bescheidenen Sinne der Verklärten, welcher einen Grundzug ihres Wesens bildete, würde zunahegetreten werden, wenn hier mit vielen Worten von ihrer stets offenen Hand und von ihrem, oft ins Große getriebenen, stillen Wohlthun gesprochen werden wollte.

Nur Einiges noch zur Vervollständigung des Bildes.

Ihren Jugend-Eindrücken nach, einer längst vergangenen und ganz anderen Zeit angehörend, hat sie die durchgreifenden Wandelungen, welche während des 19. Jahrhunderts in den Erscheinungen und in den Anschauungen auf sozialem, politischem und literarischem Gebiete sich vollzogen haben, nicht bloß äußerlich miterlebt, sondern sie hat alle diese Wandelungen in ihrem klaren und vielseitig gebildeten Geiste stetig verarbeitet, frei von derjenigen Voreingenommenheit, welche dem Neuen gegenüber bejahrten Personen so oft eigen ist. Im Gegentheile erkannte sie stets willig an, daß gar Vieles jetzt besser geworden sei und daß die vielbelobte „gute alte Zeit“ niemals bestanden habe. Andrerseits war sie den mancherlei, von der modernen Gegenwart gezeitigten Uebertreibungen durchaus abhold, beispielsweise auf dem Gebiete der weiblichen Jugend-Erziehung. Bei allem Interesse für Kunst nicht nur, sondern auch für Wissenschaft – dessen ausgiebigere Bethätigung sie jedoch erst in den Jahren des Ausruhens von ihrem Tagewerke sich gegönnt hat – war sie früher eine tüchtige Hausfrau gewesen. Sie beklagte daher, daß jetzt viele junge Mädchen einen Haupttheil ihrer Zeit in Maler-Ateliers und in Musikschulen verbrächten, während doch die Vorbereitung für den beglückenden Hausfrauen-Beruf obenanstehen sollte. Gelegentlich eines Gespräches über dieses pädagogische Thema äußerte sie in ihrer originell humoristischen Weise: „Wenn sie zwanzig Jahre jünger wäre, würde sie eine gemeinnützige Anstalt gründen zum Zwecke der Unterrichtung angehender Ehemänner im Kochen, Nähen, Stopfen, Plätten und dergleichen, da ihren zukünftigen Frauen kaum zugemuthet werden könne, mit solch trivialen Dingen sich abzumüßigen.“

Ihre Unterhaltung war überhaupt fesselnd und reizvoll, und zwar keineswegs nur, wenn dieselbe im Tone leichter Plauderei geführt wurde. Mit ihrer regen Antheilnahme an Allem, was die höheren Interessen der Menschheit berührt, verfolgte sie die humanitären und die künstlerischen Bestrebungen der Gegenwart. Fern von dem Anspruche, für eine Künstlerin gelten zu wollen, hat sie zeitlebens, wenn ihr Muße dazu geboten war, gern und hübsch gemalt. Noch im Alter zwischen 80 und 90 Jahren ließ sie in einem damals beliebt gewordenen Genre, der sogenannten Gobelin-Malerei, sich unterweisen und sie benutzte die schnell gewonnene Fertigkeit, um mit kleinen Werken ihrer geschickten Hand, deren Festigkeit und Sicherheit die Jahre zu beeinträchtigen nicht vermocht hatten, Andere zu erfreuen.

Aber auch den ernsteren Gebieten von mancherlei, sogar von abstrakter Wissenschaft wandte ihr Interesse sich zu; sie nahm mitunter Bücher zur Hand, welche aufzuschlagen mancher Mann sich nicht versucht fühlt,und sie besprach den Inhalt, wenn sie darauf gebracht wurde, geistvoll reflektirend, anregend und doch mit bescheidener Zurückhaltung.

Unterstützt wurde sie bis in ihr hohes Alter durch ein auch das Kleinste festhaltendes Gedächtniß, dessen Treue und Lebendigkeit geradezu staunenswerth war. Beim Anschlagen irgend eines Tones, welcher einen verwandten Ton in ihrem Seelen-Instrumente zum Anklingen brachte, standen Erinnerungen nicht bloß aus ihren Jugendjahren, sondern auch aus späteren Perioden ihres langen Lebens sofort zur bereitesten Verfügung.

Hiervon hatte der Verfasser dieser Aufzeichnungen in überraschender Weise Gelegenheit, schon bei seiner ersten Begegnung mit der damals etwa Sechsundachtzigjährigen sich zu überzeugen. Als ich, in einer Gesellschaft mit Fräulein v. d. Sahla von ungefähr zusammentreffend, ihr vorgestellt wurde, wiederholte sie halb fragend meinen Namen und knüpfte daran ohne irgend welches Besinnen die Bemerkung: sie habe einmal – freilich sei dies schon lange her – einen jungen sächsischen Hauptmann meines Namens kennen gelernt, welcher mit einem anderen höheren Offizier, dessen Adjutant er wohl gewesen, um die Zeit der Schlacht bei Bautzen (Monat Mai 1813, also vor damals 65 bis 66 Jahren) auf ihrem väterlichen Gute Mittel-Sohland a. d. Spree einige Tage lang einquartiert gewesen, auf ihrem späteren Lebenswege aber niemals ihr wieder begegnet sei. Meine Gegenbemerkung: jener höhere Offizier dürfte vielleicht der General von Mellenthin gewesen sein, wurde lebhaft bejaht, nicht ohne leisen Anflug schalkhafter Selbstironie darüber, daß sich der Name und auch die Persönlichkeit jenes älteren Herrn ihrem Gedächtnisse nicht gleich gut eingeprägt habe, – und so konnte ich der liebenswürdigen Greisin meine Dankbarkeit aussprechen für das freundliche Andenken, welches sie meinem, nicht lange zuvor verewigten Vater bewahrt habe.

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/88&oldid=- (Version vom 28.4.2024)