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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Zweiter Band.pdf/107

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sondern sie, auch die jüngsten Lieutenants, in zwangloser Weise gastfrei um sich vereinigte, und daß er das Wohl des Einzelnen in wahrhaft väterlicher Weise mit Rath und That zu fördern suchte, wo es noth that. Hier nur ein Beispiel, welches seinen wohlwollenden und edeln Charakter kennzeichnet. Ein seit länger als vier Jahren als „aggregirt“ geführter Souslieutenant (der sohin nur den Unteroffiziersgehalt, monatlich 9 Thaler, incl. Holzgeld, bezog) hatte in einer an den Chef gerichteten Eingabe um Fürsprache an allerhöchster Stelle gebeten, daß die durch den kürzlich erfolgten Tod eines verabschiedeten Ingenieurlieutenants zur Erledigung gelangte Pension im Betrage von 12 Thalern monatlich ihm zu Verbesserung seiner gedrückten Lage als persönliche Zulage verabfolgt werde. Auf dieses Ansuchen konnte aus Etats-Rücksichten nicht eingegangen werden. Da aber Gersdorff den Petenten als einen strebsamen Offizier kannte, der von elterlicher Seite nur geringfügige pekuniäre Unterstützung genoß, so gewährte er von Stund an und bis an sein Lebensende jenem Offizier eine fortlaufende Zulage von 12 Thalern monatlich aus seiner Tasche.

Wie aus einem in vieler Beziehung denkwürdigen, in französischer Sprache abgefaßten Manuskripte vom Jahre 1769 sich ergiebt, welches, mit glossirenden Nachträgen aus dem Jahre 1828 versehen, dem Archive des vormaligen geheimen Kabinets angehört[1], stand der General von Gersdorff in der Dresdner Gesellschaft allgemein in hoher Achtung als Mann von Geist, Kenntnissen und Verdiensten. Einen Beleg hierfür entnehmen wir einer anderen Quelle[2]. Im Winter 1775/76 war in den vornehmen Kreisen das Gerücht verbreitet, der bekannte Oberst Agdolo, ein intriguanter Lebemann und Abenteurer, stehe in Gemeinschaft mit zwei anderen, völlig makellosen Hof- und Staatsbeamten an der Spitze einer Kabale zum Sturze der Kabinetsminister Frhr. von Ende und Graf von Osten-Sacken. Agdolo, der den Wirkl. Geheimrath Grafen von Bolza, wohl grundlos, für den Urheber jenes Gerüchtes hielt, hatte sich in Bezug auf diesen in den gewaltsamsten Drohungen ergangen und die Sache fing an, für die Betheiligten eine ernste und bedenkliche Wendung zu nehmen. Da zog man den General von Gersdorff und einen zweiten General in’s Vertrauen. Gersdorff veranstaltete eine Zusammenkunft mit den beiden Gegnern, hielt eine Ansprache an dieselben und es gelang seinem Geschicke und Takte, den aufbrausenden Agdolo niederzuhalten und eine vollständige Aussöhnung zu Stande zu bringen.

Ueber 13 Jahre lang hatte Gersdorff an der Spitze des Ingenieurkorps gestanden, als der nun bereits 71 jährige unterm 21. Dezember 1776 zum General der Infanterie[3] und Tags darauf zum Kabinets-Minister und Staatssekretär der Militärkommando-Angelegenheiten ernannt wurde. Die Ernennung erfolgte zur allgemeinen Ueberraschung, aber auch zu ungetheilter Freude der Armee und des Publikums[4]. Seit dem im Jahre 1769 erfolgten Tode des Generals Grafen Bellegarde war das Departement vakant und die Erledigung der Geschäfte desselben inzwischen durch veränderte Einrichtungen ersetzt worden. Die Wahrnehmung der Militärangelegenheiten „in Land- und Wirthschaftssachen“ war und blieb auch ferner dem Staatssekretär für das Domestique-Departement (Minister des Innern) übertragen. Das Geheime Kriegsraths-Kollegium war hauptsächlich die militärische Finanzbehörde.

Gersdorff, der zeitlebens von mehr zarter als kräftiger Gesundheit gewesen war, hat nun noch eine ziemliche Reihe von Jahren eine Arbeitskraft entwickelt, wie sie in dem Alter zwischen 70 und 80 Jahren zu den Seltenheiten gehört. Außer dem Amte des Staatssekretärs blieb er, nach wie vor, Chef des Ingenieurkorps und Direktor des Ober-Militär-Bauamtes bis an sein Lebensende.

Wenige Monate nach Uebernahme seines neuen hohen Amtes wurde er in die Nothwendigkeit versetzt, seinen beiden nunmehrigen Kollegen, den oben erwähnten Kabinets-Ministern Frhr. von Ende und Graf v. d. Osten-Sacken, in einer recht heikeln Angelegenheit sich gegenüber stellen zu müssen. Am 26. März 1777, Mittwoch der Charwoche, ließ der Kurfürst vor der Mittagstafel den Kabinetsminister von Gersdorff zu sich rufen und ertheilte ihm die Weisung, sich zum Grafen Sacken (Staatssekretär des Auswärtigen) und dann zum Frhrn. von Ende (Staatssekretär des Innern) zu verfügen und jedem von ihnen zu eröffnen, daß sie ihrer Stellen enthoben und die Portefeuilles von ihnen abzugeben seien; auf etwaiges Befragen nach der Ursache dieses unerwarteten Befehles solle er ihnen sagen: der Kurfürst könne kein Vertrauen mehr in sie setzen. Gersdorff erledigte beide Aufträge am nämlichen Tage Nachmittags.

Bis zur Ernennung der Nachfolger, des Gesandten am Berliner Hofe, Generals von Stutterheim, für das Auswärtige und des Grafen Christian vom Loß für das Innere leitete Gersdorff diese beiden Departements


  1. Vgl. Dr. Karl von Weber im Archiv für die sächsische Geschichte, Bd. 8 (1870) S. 1 ff., insbesondere S. 26.
  2. Friedr. Bülau, Geheime Geschichten und räthselhafte Menschen. Leipzig, 1830. I. S. 201 f.
  3. Akta der Geh. Kab.-Kanzlei, Vol. VI. B. 364. Haupt-St.-Archiv. Loc. 1081.
  4. Bülau a. a. O. S. 213.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/107&oldid=- (Version vom 25.7.2024)