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Walther Kabel: Dummerle. In: Illustriertes Sonntags-Blatt. Beilage zum Delmenhorster Kreisblatt, Nr. 13, S. 97–99

des Kämpfens um unser Glück das beste Fundament für eine spätere, wahrhaft harmonische Ehe in unseren Herzen errichtet: ein gegenseitiges, durch nichts zu erschütterndes Vertrauen, das in den kleinen Intrigen, die zum Zwecke unserer Trennung eingefädelt worden waren, längst die Feuerprobe bestanden hatte. – Ich schämte mich meiner Zweifelsucht daher ehrlich und hielt mich jetzt sogar länger als nötig in der Küche auf, um mich dadurch selbst ein wenig für mein lächerliches Mißtrauen zu bestrafen.

Nachher trat mir Mela mit solcher Harmlosigkeit und so fröhlich entgegen, daß ich meinem Leibgericht trotz des bitteren Beigeschmackes der Sauce mit größtem Appetit zusprach. Nur reichlicher hätte die Mahlzeit sein können. Offenbar hatte mein kleiner lieber Spitzbube die allzu stark – sagen wir schon „gebräunten“ Stücke vorher beiseite geschafft. –

Wochen vergingen. Aber seit jenen angebrannten Kalbsrippchen waltete ein steter, immer häufiger wiederkehrender Unstern über Melas Kochkünsten. Mit der Engelsgeduld und der schwer zu erschütternden Nachsicht des Jungvermählten nahm ich die Attacken auf meine Geschmacksnerven hin. Wenn’s nur dabei geblieben wäre …! Aber auch Melas sonstiges Verhalten wurde mir von Tag zu Tag rätselhafter. Sie, deren Plappermäulchen früher kaum einen Augenblick still stand, zeigte eine so verträumte Wortkargheit, daß ich sie täglich mehrmals sanft daran gemahnen mußte, mir wenigstens meine Fragen zu beantworten. Stets schien sie mit ihren Gedanken weit fort zu sein. Umsonst forschte ich mit den zärtlichsten, schmeichelndsten Worten nach der Ursache ihrer so auffälligen Geistesabwesenheit. Stets bekam ich dasselbe zu hören: „Wirklich, Schatz, du bildest dir das alles nur ein. Jeder leidet doch bisweilen unter Stimmungen, die uns sozusagen anfliegen, und in denen man stiller als gewöhnlich ist.“

Ich ließ mich jedoch nicht so leicht täuschen und begann Mela nun schärfer zu beobachten. Dabei stellte ich zunächst fest, daß sie regelmäßig am Mittelfinger der rechten Hand links von dem sauber gepflegten Nagel ein durch Tinte leicht geschwärztes Fleckchen hatte, wie man dies häufig bei Menschen findet, die viel schreiben und die Angewohnheit haben, den Federhalter ganz kurz zu fassen. Weiter merkte ich, daß wir in unserem Haushalt geradezu unheimlich viel Tinte verbrauchten. Ich selbst war daran schuldlos. Also mußte notwendig Mela den Inhalt der drei leeren Tintenfläschchen, die ich in den letzten sechs Wochen auf meinem Schreibtisch halb verborgen hinter dem Briefständer entdeckt hatte, seiner natürlichen Bestimmung zugeführt haben. Auch mein Vorrat an weißem Papier zeigte sich, als ich einmal eine Eingabe an eine Behörde aufsetzen mußte, bis auf einen winzigen Rest zusammengeschmolzen. Im Haushalt konnte Mela all die großen Bogen kaum verwandt haben. Wozu auch?

Mithin blieb nur eine Möglichkeit übrig, wenn man diese von mir eben erörterten Momente logisch zu einer Kombination vereinte: mein Dummerle beschäftigte sich mit irgendeiner längeren schriftlichen Arbeit, die an den vielen verdorbenen Speisen, an bei Zerstreutheit, den geschwärzten Fingern und dem enormen Tinten- und Papierverbrauch schuld war. – Aber was für ein Opus konnte das nur sein? Stellte sie vielleicht ein neues Kochbuch zusammen? Das war bei ihrer Kunstfertigkeit im Zubereiten billiger und schmackhafter Speisen eigentlich das Nächstliegende. Nun, ich würde schon dahinterkommen!

Eine recht unmännliche Neugierde hatte sich meiner bemächtigt, die mich dann dazu verführte, Mela eine regelrechte Falle zu stellen. Denn meine mühsam gesammelten Verdachtsgründe und die daraus hervorgegangenen Schlüsse mochte ich ihr nicht mitteilen, schon um sie nicht zu einer Notlüge zu verleiten.

Auf meiner Schreibtischplatte lag stets ein starker, großer Bogen rotes Löschpapier vor dem schweren Onyxschreibzeug. Ehrlich gestanden nur deswegen, weil ich einmal aus Unachtsamkeit in den grünen Tuchbezug der Platte mit der Zigarre ein schändliches Loch gebrannt hatte, das auf diese Weise den Blicken unserer Gäste entzogen werden sollte. Ein neuer Bezug hätte nämlich sechs Mark gekostet. Rotes Löschpapier gab’s aber schon für zehn Pfennig den Bogen.

Und diese zehn Pfennig opferte ich und vertauschte heimlich den bisherigen, von dunklen Flecken und Schriftspuren bereits über und über befleckten Bogen gegen einen ganz neuen. Um das Maß meiner Hinterlist noch voll zu machen, schloß ich dann auch meinen Onyxlöscher, der zu der Schreibtischgarnitur gehörte, in eine Mela nicht zugängliche Schublade ein. So wollte ich mein Frauchen zwingen, ihr Geschreibsel auf der zarten Fläche des neuen Löschblattes abzudrücken.

Als ich am nächsten Mittag nach Hause kam, benutzte ich die gute Gelegenheit, als Mela den Tisch im Nebenzimmer deckte, zur Prüfung des roten Löschpapiers. Ungefähr zwölf etwas ineinanderlaufende Reihen von Schriftzügen waren deutlich darauf zu sehen. Mein Taschenspiegel, den ich dicht hinter die einzelnen Zeilen hielt, und auf dessen Glas mir dann deutlich lesbar die Worte entgegenleuchteten, enträtselte mir schnell das ganze Geheimnis. Die Sätze, die Ich so zu entziffern vermochte, hatten anscheinend[1] gar keinen Zusammenhang, sagten aber trotzdem genug:

„… Kitty ging in diesen Wochen vor ihrer Hochzeit wie im Traum einher. Sie war seit jener …“

„… mußte aber doch Liebe sein, die sie empfand, denn sonst hätte sie ja jede Achtung …“

„… und mit dem verzweifelten Ringen eines Schwimmers, der dem Ertrinken nahe ist, versuchte John Brown Kitty zu …“

„… mit der Bitte, den beifolgenden Roman zu prüfen und mir baldigst Bescheid zukommen zu lassen. Rückporto füge ich …“

In der nächsten Minute stand ich schon Mela gegenüber, die soeben mit dem vollen Tablett aus der Küche kam.

„Mela,“ sagte ich dumpf, „versuche nicht weiter zu leugnen. Damals die Kalbsrippchen, inzwischen noch vieles andere und vorgestern die Koteletts mußten sich eine unrichtige Behandlung gefallen lassen, weil du … schriftstellerst!“

Das war fraglos recht zart ausgedrückt! Und dennoch – nur das jongleurartig fixe Zugreifen meiner Hände rettete unser Mittagessen vor einer allzu innigen Berührung mit dem neuen Teppich.

Mela war auf den nächsten Stuhl gesunken und weinte schon herzzerreißend, während ich noch das Servierbrett auf dem Eßtisch in Sicherheit brachte.

Ich ließ ihr ruhig Zeit, sich von dem ersten Schreck durch wahre Tränenströme zu erholen. Als nur noch vereinzelte Zähren die frischen Wangen netzten, geleitete ich sie mit sanfter Gewalt zu unserem lieben Sofaplätzchen, wo ich sie auf meine Knie zog und ihr Köpfchen an meine Brust bettete. Und dann beichtete sie …

Schon als Mädchen hatte sie, wovon sie mir freilich nie etwas zu sagen wagte, hin und wieder kleine Novellen geschrieben, – nur zu ihrem eigenen Vergnügen, da diese Art, ihre Phantasie spielen zu lassen, ihr Freude und Befriedigung gewährte. Dann war sie gleich in der ersten Zeit unserer Ehe so viel allein gewesen. Ich hatte mit einer kurzen Mittagspause von morgens bis abends in der Fabrik zu tun, und in unserem kleinen Haushalt gab es nur wenig Beschäftigung für sie. Und so war ihr der Gedanke gekommen, einmal auch eine größere schriftstellerische Arbeit zu beginnen.

„Erst sollte es wieder nur eine Novelle werden, Fritz“, gestand sie leise. „Aber sehr bald packte mich der Stoff derart, daß ich die verschiedenen Situationen und die Charaktere der Personen immer eingehender auszumalen begann. Oft vergaß ich alles um mich her, wenn ich in deinem Zimmer an dem Roman schrieb. Das waren die Vormittage, wo du dann halb verdorbenes Essen vorgesetzt bekamst.“ Bei dieser Stelle drängten sich abermals ein paar Tränen der Reue hervor.

„Heute habe ich nun den Roman beendet, Fritz“, fuhr sie zögernd fort und senkte den Kopf noch tiefer. „Und heute gebe ich dir auch das Versprechen, daß ich nie wieder die Feder anrühren und nie mehr meine Pflicht über dieser meiner harmlosen Leidenschaft vergessen werde, wenn … wenn ich das Glück habe, den Roman gedruckt zu sehen. Dies ist mein sehnlichster Wunsch, mein ganzer Ehrgeiz.“

Ich glaubte nicht recht gehört zu haben. – Mein Dummerle, mein kleiner, lustiger Spitzbube wollte das Geschreibsel also wirklich einer Redaktion anbieten, – oder womöglich noch einem Verleger …?! Das war ja mehr als Torheit, das war eine geradezu lächerliche Selbstüberschätzung …! Wer mir vor meiner Hochzeit gesagt hätte, daß ich meiner Mela noch einmal würde Blaustrumpf-Neigungen ausreden müssen, den hätte ich schön ausgelacht …! Und jetzt …, jetzt …?!

„Kind,“ begann ich daher ganz väterlich, „du wirst doch nicht im Ernst die Absicht haben, deinen sogenannten Roman irgendwo anbringen zu wollen. Weißt du auch, welche Schwierigkeiten sich diesem Vorhaben in den Weg stellen …?! Du als völlig unbekannte Autorin“ – ich brachte diese tönende Bezeichnung für mein Dummerle wirklich über die Lippen! – „wirst eine Unmenge Porto verschwenden und dies nur mit dem einen Erfolg, daß du deine Arbeit stets zurück erhältst – stets! Denke an die qualvollen Wochen der Erwartung, die du dir bereitest, wenn der Roman unterwegs ist. Du wirst deinen Frohsinn verlieren, wirst …“

Da unterbrach sie mich mit einem einzigen Wort.

„Seilmann …!“

Es klang wie zages Hoffen durch die zwei Silben, die den Namen meines besten Freundes bildeten.

Ich begriff sofort, welche Ideenverbindung Mela gerade auf Heinz Seilmann gebracht hatte. Bei ihm als dem Feuilleton-Redakteur der angesehensten Zeitung unserer großen Industriestadt dachte sie eben die zur Verwirklichung ihrer ehrgeizigen Wünsche notwendige Unterstützung zu finden.

Umsonst versuchte ich ihr klarzumachen, daß Seilmann geradezu mit Arbeit überhäuft sei und man ihn schon deswegen mit solchen


  1. Vorlage: anscheindend
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Dummerle. In: Illustriertes Sonntags-Blatt. Beilage zum Delmenhorster Kreisblatt, Nr. 13, S. 97–99. Greiner & Pfeiffer in Stuttgart, Delmenhorst 1916, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dummerle.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)