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Gerichtsgebäude und Leuchtturm in Madras.

Sechstes Kapitel.
Die Hexenmeister von Madras.

Mit besonderer Spannung sah ich den Erlebnissen entgegen, die meiner in Madras harrten.

Das bei der Annäherung an den Hafen von Madras schon aus weitester Ferne in die Augen stechende Gerichtsgebäude[WS 1] ist ein wahres Muster englisch-indischer Prachtbauten und wie diese ein Renaissancesalat von indischen, maurischen und englischen Motiven, die aus roten Ziegeln und weißem Sandstein zusammengeschnitten sind; derartige Bauten blenden und kitzeln zwar zuerst das Auge durch die vergoldeten Spitzen der zahlreichen buntbemalten oder auch farbig ornamentierten Kuppeln, bringen aber schließlich einen beinahe quälenden Eindruck gesuchter und gezwungener Originalität hervor. Die höchste dieser Kuppelspitzen überragt einen dicht vor dem Gerichtspalast stehenden älteren Leuchtturm und hat dessen frühere Aufgabe übernommen, allabendlich aus einer Riesenlaterne das warnende Licht auf die davor gärende, nur selten ruhig schlummernde raubgierige Wasserwüste hinauszusenden, in der im Jahre 1746 bei einem Orkan eine ganze französische Flotte mit nicht weniger als 1200 Seeleuten versank. Dies Ereignis erinnert an die gewaltigen Anstrengungen, die Frankreich im achtzehnten Jahrhundert gemacht hat, in Indien mindestens denselben Einfluß wie England zu erlangen, ja dieses sogar völlig zu verdrängen.[WS 2] Aber die leichtfertig und feurig drauflosstürmenden Gallier verfügten nicht über die zähe, elastische Ausdauer und rücksichtslos listige Berechnung der angelsächsischen Rasse, zu deren beneidenswertesten Eigentümlichkeiten es gehört, daß sie sich von Kindesbeinen an durch hartangreifende Sportübungen zu unnachgiebigen Hartköpfen bei fatalen Wechselfällen des Schicksals erzieht und dadurch zugleich widerstandsfähig gegen das erschlaffende Klima der englischen Kolonien in den Tropen gemacht hat. Wollte Gott, daß jeder Deutsche, der an seinem

behaglichen Stammtisch über englische Herz- und Treulosigkeit, Habgier, Ungerechtigkeit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Gerichtsgebäude von Madras: vergleiche Madras High Court
  2. WS: französischer Einfluss in Indien: vergleiche Französisch-Indien
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/121&oldid=- (Version vom 1.7.2018)