Durch Indien ins verschlossene Land Nepal
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In grünen Kranz mit trauerndem Gemüte
Muss nun ich wandeln, was als bunten Strauss
Ich legen wollt’ vor König Alberts Haus,
Des hehren Urbilds höchster Fürstengüte.
Zum Palmstrand führt dies Buch, wo sich die Blüte
Des Lotuskelchs in schwerem Wetterbraus
Erschüttert schliesst vor des Orkans Gesaus,
Verbergend still den Schmerz, der sie durchglühte.
Als Lichtbild vor des Königspaares Blicken
Erschien dies Land zu kurzer Augenweid’:
Mög’s jetzt ein Stündchen, Herrin, Euch entrücken
Dem Gram und Eurem, Sachsens schwerem Leid!
Erst dann vermöcht’ dies Werk mich zu beglücken,
Das Ehrfurcht König Alberts Manen weiht.
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Das Studium der Menschheit ist „der Mensch“! Wer diesem Wahlspruch folgend den Drang verspürt, in lebendiger Berührung mit der Welt den Horizont seines Geistes zu erweitern, kann der für die fast hypnotische Anziehungskraft unempfindlich sein, die der Name und Begriff Indien ausübt? Wo anders, als in dieser warmen Wiege unserer sozialen Einrichtungen, findet der Forscher Menschen, die uns und unserer Kultur zwar nahe, der Überkultur aber noch unendlich fern stehen? Welches Land verspricht alle Wunder der Welt in so reichem Maße zu zeigen wie dieses mit dem vergangenen Leben der Menschheit aufs innigste verflochtene Stück Erde? Wie lockend erscheint es, unter dem herrlich veranlagten Volke der Hindus zu wandeln, die noch heute die scharf vorgezeichnete Lebensführung des Altertums einhalten, während uns von Hellas und Assyrien und Ägypten nur noch leblose Ruinen die alten Kulturformen verkünden!
Wie der fabelhafte Magnetberg der indischen Sage wirkte dieses Land von Jugend an auf mich ein; immer aufs neue zog es mich vom heimatlichen Boden zurück, neue Aufschlüsse über das Erstaunliche zu suchen, das dieses in einem Vorheitszustand erstarrte und doch von warmem Blute durchpulste Hindutum auf allen Seiten umfängt. Auch ist es nicht die schwächste unter den Zauberwirkungen Indiens, daß unser geistiges Auge erst ganz allmählich das eigentlichste Wesen dieses Landes mit jenem „zweiten Gesicht“ zu erschauen vermag, das nicht an der oft widerlichen Oberfläche haften bleibt, sondern mit stetig wachsendem Erstaunen erkennt, daß darin alle Geheimnisse wurzeln, aus denen die Seele des Orients entsprang.
Nicht weniger als vier Fahrten nach Indien fand ich nötig, um dieses schier unergründliche Riesenreich und seine Völker etwas mehr als oberflächlich verstehen zu lernen, ein Reich, dessen Umfang bei uns zu Lande selbst heutigen Tages noch häufig unterschätzt wird, und das manche, die nur auf seine äußerlichen Merkwürdigkeiten achten, nicht einmal ganz ernsthaft zu nehmen pflegen. Daß die britischen Besitzungen in Indien an Fläche noch [XI] achtmal größer sind als unser Deutsches Reich und daß dieses gigantische Mosaikbild Indien sich aus noch viel bunteren, ungleicheren Steinarten zusammenfügt als die deutschen Länder, ist selbst Gebildeten nicht immer bewußt.
Den stolzen, im Jahre 1890 für noch recht unnahbar verschrieenen Hochgebirgswildnissen des inneren Himalaja galt mein erster Ansturm; mit nicht unbeträchtlichem Aufwand an Ausdauer und Kosten führte ich ihn, wie mein Buch „Indische Gletscherfahrten“ eingehend zeigt, zu dem von mir gewünschten Ziele. Daß das maßgebende englische Fachblatt Luzac’s Oriental List (No. 7 und 8, 1900) dieses Werk mit den Worten anerkannte: „We can heartily commend the „Indische Gletscherfahrten“ of Dr. Kurt Boeck. Let us hope that it may soon be translated into English!“ hebe ich unbescheidenerweise nur deshalb hervor, weil es als ein Anzeichen dafür gelten kann, daß gebildete Engländer es zu schätzen beginnen, wenn ein Reisender es wagt, indische Zustände nicht ausschließlich durch die rosafärbenden Augengläser englischer Gastgeber anzuschauen und zu schildern. Daß einem Manne von Welt nichts ferner liegen kann, als Rassenhaß und Klassenhaß und „derlei Teufelswerke“, wie sie Scheffel nennt, brauche ich wohl nicht zu betonen; auch das vorliegende Werk ist in diesem Sinne ohne jede nationale Parteilichkeit oder Gehässigkeit mit unbekümmerter Offenheit geschrieben.
Bei meinen indischen Alpenreisen war aber das Studium des Volkslebens der Hindus in Stadt und Land zu kurz gekommen, und schon bald darauf, im Jahre 1893, suchte ich diese Lücke auszufüllen und die Stromgebiete des Ganges und Indus gründlich kennen zu lernen.
Jm Jahre 1895 zog ich abermals aus, um die Religions- und Lebensgewohnheiten der Bewohner des südlichen Indiens nicht, wie bei meinem ersten Besuche, nur wie einen buntschillernden, unverständlichen Traum auf mich wirken zu lassen; auch gab ich mich, wie auf meinen früheren Indienreisen, der stillen Hoffnung hin, daß es mir gelingen würde, Zutritt in das einzige von den Engländern tatsächlich noch unabhängige und wirklich selbständige Königreich Indiens, das für unsagbar malerisch und interessant geltende Nepal, zu erlangen. Doch auch diesmal durfte ich diese lockendste Frucht am indischen Länderbaum nur aus der Ferne anschmachten; das Sesamwort, das die verriegelten schweren Tore Nepals aufzusperren vermocht hätte, blieb mir ein unlösbares Rätsel.
Eingedenk des goldensten unter den Ratschlägen König Johanns von Sachsen an seine Söhne: „Was Du angefangen hast, das führe zu Ende und wenn es Dir noch so viel Anstrengung kostet“, setzte ich meine Bemühungen, Nepal betreten zu dürfen, unverdrossen fort und erhielt, durch einflußreiche Vermittelungen und günstige Zufälle unterstützt, im Jahre 1898 die langersehnte Erlaubnis, dies bei uns kaum dem Namen nach gekannte Wunderland zu betreten. Das verschlossenste Land Asiens stand mir offen, das höchste meiner Reiseziele rückte in erreichbare Nähe!
[XII] Das Glück war mir hold. Durch pestverseuchte indische Gebiete hindurch fand ich wirklich den unzähligen anderen versagten Zutritt in das geheimnisvolle Himalaja-Königreich Nepal und ich verließ es, fast erdrückt von der Fülle wundersamer Erscheinungen, die ich nicht länger für mich behalten will. Doch weder als chronologisch geordnetes, ermüdendes Reisetagebuch, noch als erschöpfende, streng wissenschaftliche Abhandlung, sondern in Form eines Spazierganges durch die wichtigsten Gebiete Indiens, vom Süden Ceylons bis hinein in das Herz Nepals, tritt dieses Skizzenbuch dem geneigten Leser entgegen. In buntem Wechsel bietet es Erlebnisse und Beobachtungen, in Verbindung mit Bildern, die ich durchweg selbst und mit fast zärtlicher Liebe aus dem wundervollen Menschenleben Indiens herausgegriffen und photographisch festgehalten, also nicht aus Musterbüchern der Kunsthandlungen zusammengesucht habe. Wie auf meinen anderen Asienreisen in Japan und Sibirien, in Persien und in China, bin ich auch in Indien bedacht gewesen, typische Kulturbilder ausfindig zu machen, zumal solche, die den Reiz der Neuheit besitzen und für jedermann von Interesse sind. Freilich gilt auch für mich Theodor Fontanes Wort: „Was wir in Welt und Menschen lesen, ist nur der eigene Wiederschein“, aber stets durchdringt mich die Zuversicht, daß auch mit heiteren Mienen die Segnungen der Wissenschaft verbreitet werden können; stilllächelnd gibt die Hoffnung, der Weisheit trostreiche Schwester, diesem Werke den Geleitwunsch mit auf den Weg, daß es recht viele zu weiterer Vertiefung in die berührten Fragen anregen möge![WS 1]
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[XVII]Anmerkungen
- ↑ Die Negativplatten der mit P. Z. bezeichneten, gleich allen anderen vom Verfasser aufgenommenen Bilder sind Eigentum der Gesellschaft „Photoglob Zürich“ geworden.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Dies soll auf Wikisource auch durch ein Stichwortverzeichnis erleichtert werden.
- ↑ W.S.: Aus praktischen Gründen wurde die Zweispaltigkeit des Abbildungsverzeichnis aufgelöst und in eine einspaltige Struktur übertragen.
- ↑ W.S.: Photoglob Zürich: Vergleiche Photoglob