Durch Indien ins verschlossene Land Nepal/Haremsabenteuer und Jagdbegegnungen
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Mit Sonnenaufgang marschierte mein Trupp weiter, der Paßhöhe entgegen. Ich hatte Bergschuhe angelegt und ging meinem Tragstuhl und dem lärmenden Troß voraus, so daß ich unbemerkt beobachten konnte, wie der Wachtposten des Sperrforts abgelöst wurde. Hatten mir die tadellos klappenden Gewehrgriffe der Leute in der Nacht einen recht guten Eindruck beigebracht, so sah ich jetzt etwas, was jedem deutschen Feldwebel das Herz im Leibe herumdrehen mußte. Die Ablösung kam nämlich ganz gemütlich und ohne Waffen aus dem Wachtlokal herausgebummelt, trat an den Posten heran, hakte ihm lachend und plaudernd Koppel und Patronentasche ab, schnallte sich diese Sachen nicht allzu fest um die eigenen Hüften und hob dann das Gewehr des bisherigen Postens bedächtig auf die eigene Schulter. Welche herrliche Gelegenheit zum Hervorbrechen auserlesener Kasernenhofblüten mußte hier im fernen „verschlossenen“ Lande unbenutzt verwelken!
Das zweistündige Klettern in der frischen Morgenluft schärfte meinen Appetit dermaßen, daß ich mit grimmiger Sehnsucht an meinen Frühstückskorb dachte, den sein Träger mir trotz aller Belehrungen nicht auf Schritt und Tritt nachbrachte, sondern auch bei sich behielt, als die Kulis, ihrer Dasturisitte folgend, bereits nach der ersten Marschstunde Halt machten, um sich ihre Morgenpfeife zu Gemüte zu führen. Ich konnte von der bewaldeten Paßhöhe aus ganz gut sehen, wie vortrefflich ihnen dort unten ihre Wasserpfeife mundete, während ihr gnädiger Herr [245] sich oben mit Hungerpfötchen begnügen durfte. Ich mochte rufen soviel ich wollte, sie konnten oder wollten nichts hören, denn wenn ein solcher nepalischer Jüngling einmal seine geliebte Huka im Arm und an den Lippen hat, dann ist er für alles andere taub und blind; das Rauchen scheint eine wahre Nationalleidenschaft zu sein. Hier in Nepal verfertigen sich die Leute übrigens ihre Wasserpfeifen meist aus einem halb mit Wasser gefüllten Bambusrohr, in das ein dünneres, den Tonkopf tragendes Rohr seitlich in spitzem Winkel hineingesteckt wird, während der Rauch mittelst der als Mundstück aufgedrückten geschlossenen Hand aus dem dicken Rohre gesogen wird. Die in der indischen Ebene üblichen, winkelförmig in die Erde gebohrten Rauchkanäle habe ich in Nepal jedoch nirgends beobachten können.
So sehr ich auch den armen Kerlen ihren Rauchklub gönnte, ärgerte ich mich doch, daß mein Rufen ungehört verhallte, und wollte schon zu ihnen zurücksteigen, als plötzlich Stimmen an mein Ohr drangen; ich bemerkte einige holzsammelnde Männer und erblickte auch, nachdem ich den Weg noch ein Stückchen weiter verfolgt hatte, die Gesellschaft, zu der diese Kulis gehörten. Zu meiner Überraschung waren es aber zwei reisende indische Damen, die sich hier am Nordabhang der Paßhöhe auf einem weichen, gestickten Teppich zum Frühstück niedergelassen hatten, und zwar angesichts eines Panoramas, wie es kaum schöner gedacht werden konnte. Im Norden glänzte in weitester Ferne die Schneekette des Himalaja, teilweise verdeckt von dem dazwischenliegenden Bergrücken, über den mein weiterer Weg in das Tal von Katmandu führen sollte, und darüber wölbte sich ein wolkenlos blauer Himmel, während aus der Tiefe das Rauschen eines Waldstromes aus einer wilden Schlucht herausklang. Sturmzerfetzte, bemooste Rhododendronbäume umsäumten das prachtvolle Bild. Ich wußte nicht recht, ob ich meine Gegenwart verraten und dadurch vielleicht die unverschleierten Damen in die Flucht treiben oder lieber mich selbst seitwärts in die Büsche schlagen sollte.
Hätten die mir natürlich höchst interessanten Damen nur die schöne Aussicht genossen, so hätte ich sie jedenfalls nicht gestört, aber ich verspürte einen ganz respektswidrigen Appetit, und zum Unglück trieb mir der Nordostwind von der Kochstelle her aus den Kesseln und Töper allerlei angenehme Düfte entgegen. Es zog mich ganz magnetisch in die Nähe der schmausenden Damen, und als mein Good morning zwanglos erwidert wurde, machte ich Halt, pries die entzückende Aussicht von diesem Platze und schielte dabei mit sozusagen langgestielten Augen in einen Reistopf, aus dem ein paar weiße Hühnerbeinchen appetitlich herausschauten. War es meine verständliche Mimik oder die in Indien heimische Gastfreundschaft, genug, ich wurde sofort aufgefordert, an dem delikaten Frühstück teilzunehmen und griff auch gleich ganz unverdrossen in die dampfenden Schüsseln. Während ich dann andächtig zuhörte und nur leise und verständnisinnig meine Kinnbacken bewegte, erzählte mir meine bronzefarbige Gönnerin, daß meine Erscheinung sie keineswegs befremde, da man in Katmandu, von woher sie kämen, bereits allgemein von der bevorstehenden [246] Ankunft eines deutschen Reisenden gesprochen hätte; sie selbst sei eine Lady Doctor aus Kalkutta und nach Katmandu berufen gewesen, um den Favoritinnen des Königs und des Maharadschah, denen ja kein anderer Mann zu nahe kommen darf, den zarten Puls zu fühlen. Hiermit habe sie die letzten drei Monate zu tun gehabt und sei nunmehr mit einem riesigen Sack voll Rupien und massenhaften Geschenken auf der Heimreise, und ich solle ja nicht versäumen, sie bei meiner Rückkehr nach Kalkutta aufzusuchen. Im Handumdrehen erhielt ich dann noch eine Menge wichtiger Winke für meinen Aufenthalt in Nepal, erfuhr, daß z. B. die Gemahlin Bam Bahadurs[WS 1] gestorben sei, weil sie nicht gestatten wollte, daß der Arzt der englischen Gesandtschaft sie behandele, und daß selbst Jan Bahadur[WS 2] nur die chirurgische, nicht aber die medizinische Heilkunst der Europäer als der einheimischen überlegen anerkannt habe. Ich verzehrte dabei gelassen ein Stück Torte nach dem anderen und mußte schließlich noch ein paar Dutzend Orangen und Paradiesäpfel[WS 3] annehmen, die in meinen inzwischen angelangten Tragstuhl gepackt wurden.
Dankbarlichst muß ich hierbei erwähnen, daß mir meine brünette Freundin später in Kalkutta einen längst gehegten Wunsch erfüllte, indem sie mich mit mehreren vornehmen Hindudamen bekannt machte, deren märchenhafte Schönheit sonst für jeden Europäer verschleiert bleibt, und daß sie auch die Freundlichkeit hatte, mir Zutritt in eine von ihrer Schwester geleitete Schule für Hindutöchter hoher Kasten zu verschaffen. Ich durfte sogar dem Unterricht beiwohnen, der dort sämtlichen sechs Klassen gleichzeitig in einem lustigen, von korinthischen Säulen getragenen Saale erteilt wurde, wobei sich aber die jungen Damen so elfenhaft geräuschlos benahmen, daß man kaum einen einzigen hörbaren Laut vernahm! Und doch entzifferten in der einen Ecke heiratsfähige Hindumädchen vergilbte Palmblätter voll Sanskritinschriften, in einer anderen Saalnische wurden geometrische Probleme gelöst, in der Mitte des Raumes rezitierte ein Pandit mit pechschwarzer, geölter Mähne, mit nur flüsternder Stimme, aber mit vorzüglichem, ausdrucksvollem Mienenspiel seinen schwärmerisch dreinschauenden Schülerinnen altindische Dichterworte, und am anderen Ende des Saales bemühte sich eine kleine, dicke, schwarzbraune Lehrerin, die eine allerliebste, gar nicht schulmeisterliche, kokette Perlenrosette im linken Nasenflügel trug, ihren Kleinen die Anfangsgründe der Schreibkunst vorzumalen. Ich habe nie das Glück gehabt, mich in eine deutsche höhere Töchterschule einschleichen zu können, bezweifle aber natürlich nicht im geringsten, daß auch dort sechs Klassen in gleicher Stille nebeneinander studieren könnten. Daß mich übrigens bei meiner unerhörten Erscheinung manches Hindubackfischchen mit leuchtenden Blicken und weit geöffnetem Mäulchen anstarrte, als ob ich ein leibhaftiger Märchenprinz auf der Brautschau wäre, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.
Vom schönen Sissagaripaß stieg ich in prächtigster Laune zu dem Flußbett hinunter, oder, ehrlicher gesprochen, ich ließ mich im Dändi recht gemütlich hinuntertragen. Das schien mir doch nach dem reichlichen Frühstück und [247] den Strapazen der Märsche wesentlich angenehmer, als den holprigen Weg auf eigenen Füßen hinunterzustolpern. Schon nach zwei Stunden war die Talsohle erreicht. Die steilen Uferhügel, zwischen denen sich der Markufluß[WS 4] hindurchschlängelt, sind terrassenförmig bearbeitet, so daß man sich an die Rebengestade der Mosel versetzt wähnen könnte. Die Erdschollen können jedoch wegen des bergigen Geländes nicht mit Pflügen bearbeitet, sondern nur mit wuchtigen Handhacken aufgerissen werden. Aber statt der Trauben mit erheiternd säuerlichem Saft reift den fleißigen Landleuten auf diesen Terrassen der Reis, der den Nepalern nicht nur das tägliche Brot, sondern auch zur Befriedigung des Durstes nach Getränken, die nicht so entsetzlich viel Feuchtigkeit wie das Wasser enthalten, einen Labetrunk, das Rakschidestillat, liefert. In jedem Haushalt findet man aus Holz gedrehte Krüge mit diesem Elixir.
Dieses Tal von Klein-Nepal, durch das bislang jeder der spärlichen europäischen Besucher Nepals seinen Weg nach der Landeshauptstadt zu nehmen hatte, macht durch sein Gemisch von Wildheit und sorgfältigem Anbau einen ganz wunderlichen Eindruck. Bald befindet man sich in einer geröllreichen Felsschlucht und wenige Minuten später in einer lachenden, fruchtbaren Landschaft voll appetitlicher, ockerfarbiger Häuser mit Reisstrohdächern, die man aber am besten nur von außen betrachtet, weil sich Hühner und Schweinchen als völlig zur Familie gehörig betrachten und sich ebensowenig wie die Familienmitglieder hinsichtlich der Sauberkeit in Haus und Hof irgendwelchen Zwang auferlegen. Aber, wie gesagt, der äußere Eindruck der Häuser ist sehr gefällig, und die massenhaft ringsum aufgestapelten Maiskolben erwecken den Eindruck der Wohlhabenheit. Dies Brücken führen in beträchtlicher Höhe über den Fluß, der während der Regenzeit wesentlich anschwillt; zur Zeit waren zahlreiche Schnüre von den Felsen des einen Ufers zu denen des anderen gespannt, an die Büschel orangefarbiger Blumen und kleine Gebetsfähnchen angeknüpft waren. Es sollte damit sowohl dem erwartenden, auf die Jagd im Terai ziehenden Maharadschah wie den Geistern des verderblichen Flusses eine Huldigung dargebracht werden, die das Landschaftsbild munter belebte.
In Marku, dem größten Ort des Tales, den ich fünf Stunden nach dem Verlassen der Sissagaripaßhöhe erreichte, pflegt ein reger Verkehr von Bauernburschen zu herrschen, da hier ein Werber alle jungen Gorkhas versammelt, die Lust haben, in das englisch-indische Heer einzutreten. Nach Ablauf ihrer Dienstzeit wirken sie in ihrer nepalischen Heimat als Armee-Instruktoren, wofür sie keinen Sold, sondern nur wesentlich erleichterte Pachtbedingungen für ihr Ackerland erhalten, ein Verfahren, bei dem Nepal [248] viel Geld für militärische Zwecke sparen würde, wenn nicht die höheren Offizierstellen ganz fabelhaft hoch honoriert würden. Freilich sind diese Gehälter nicht festgesetzt, sondern hängen ganz von Gunst und Laune des Premierministers ab, der auch dafür sorgt, daß nur diejenigen höher als zum Obersten aufsteigen, die mit ihm verwandt oder verschwägert sind. Bei plötzlichem Geldmangel in der Kasse des Maharadschah erleiden diese fürstlichen Gehälter deshalb oft plötzliche und beträchtliche Abzüge; ebenso erwähnenswert ist wohl auch, daß in Nepal ein Oberst drei Regimenter zu kommandieren pflegt. Die Dienstpflicht ist allgemein, und die Männer sind leidenschaftliche Soldaten, so daß Nepal jeden Augenblick 60–70 000 kriegstüchtige Leute zur Stelle haben kann. Das wissen die Engländer ebensowohl, wie sie die furchtbaren, natürlichen Hindernisse kennen, die es den Nepalern ermöglichen würden, ihre Unabhängigkeit zu bewahren, da diese sich im allerschlimmsten Falle unter Preisgabe von Klein-Nepal in die Gebirgslandschaften des westlichen Nepal verkriechen könnten.
Die Straße steigt von Marku aus allmählich um etwa tausend Fuß, indem sie sich mit einem nach Norden gekrümmten Bogen in eine Talschlucht des zweiten Höhenzuges wendet, der Klein-Nepal von dem Katmandutal trennt, das nunmehr in seinem höher liegenden Teile merklich rauher und unfruchtbarer wird. Hier nun, etwa eine Stunde vor Tschitlong[WS 5], hatte ich das Glück, einem Aufzuge zu begegnen, den ich dreist als einen der seltsamsten Eindrücke meiner sämtlichen Indienreisen bezeichnen darf.
Ich hatte meinen Tragstuhl zu einer kleinen Reparatur in Marku zurücklassen müssen, und wie gewöhnlich zogen es die Kulis vor, zusammen ebenfalls zurückzubleiben, statt mich mit dem Gepäck zu begleiten; gegen solche Eigenmächtigkeiten ist in Nepal nichts auszurichten, man muß zufrieden sein, wenn die Leute schließlich am Ziel erscheinen.
Wie ich nun so einsam meinen Weg durch die dürftigen Reisfelder verfolgte, sah ich von einer hochgelegenen Stelle aus einen Menschenknäuel nach dem anderen aus einer fernen Schlucht des sich weiterhin wieder senkenden Weges heraus- und mir entgegenkommen. Ich trat etwas zur Seite und verbarg mich ein wenig hinter einem stattlichen Felsblock; mit Freudebeben wurde [249] mir klar, daß dieser rätselhafte Zug gar nichts Geringeres vorstellte, als die Haremsdamen der in das Jagdlager ziehenden hohen Herren des Landes!
Die zarten, lieblichen Wesen, die an mir vorbeigetragen wurden, konnten mich in meinem Versteck nicht gleich gewahren, und so vermochte ich mich an den reizenden Gesichtern ganz nach Herzenslust sattzusehen, da sie fast durchweg im offenen Tragstuhl und nur etwa acht oder neun in vergoldeten Palankins mit siebartig durchbrochenen Wänden befördert wurden. Die jungen Frauen schienen eben erst dem Mädchenalter entwachsen zu sein, und ich kann mich nicht entsinnen, weder in Birma noch in Japan liebreizendere Geschöpfchen gesehen zu haben. Sie saßen in ihren Dändis so munter wie in einer Wanne voll Schlagsahne, denn die zahllosen Lagen von feinstem, buschig gewelltem Seidentüll, die sich jede vornehme nepalische Dame um die Taille zu wickeln pflegt, bis sie aussieht wie eine Prima Ballerina, deren Röckchen bis zum
Fußboden verlängert sind, machen beim Niedersetzen der Damen tatsächlich den Eindruck von Schlagrahm oder Seifenschaum. Um die Freuden der Jagd recht vielseitig werden zu lassen, schienen die hohen Herren Nepals dem Grundsatz: „Kein Vergnügen ohne Damen!“ recht ausgiebig huldigen zu wollen, wenigstens nahm der Zug gar kein Ende, so daß ich schließlich der Versuchung nicht widerstehen konnte, meinen photographischen [250] Handapparat in Bewegung zu setzen, aus dem Hinterhalt auf die lieblichen Opferlämmer zu zielen und meuchlings Feuer zu geben.
Ich muß gestehen, daß ich mich meiner Handlungsweise schämte und wahrscheinlich fürchterlich räsonieren würde, wenn jemand meine Herzallerliebste heimlich auf die Platte brächte. Aber erstens: „Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen, wenn er sich gleich dem Tode näher spinnt!“ heißt es ja wohl im Tasso, [WS 6] und dann sind schließlich photographische Negative für einen Reisenden, noch dazu für einen, der naturgemäß vom Neid nicht verschont bleiben kann, oft wirksamere Belege, als die heiligsten Eide.
Leider lenkte mein blitzender Kodakapparat[WS 7] die Aufmerksamkeit der Haremsdamen und ihrer Eunuchenumgebung auf mein Versteck. Blitzschnell hielten sich die Schönen ihren Sonnenschirm vor die Augen oder ließen die Vorhänge ihrer Tragstühle herunter, doch zum Glück so, daß wenigstens die reizenden kleinen Händchen draußen blieben, über die sie Handschuhe aus schwarzen Seidenfäden gezogen hatten, deren Kreuz- und Knotenpunkte mit blitzenden Steinen geziert waren. Gleichzeitig kam der Wächter ganz entrüstet auf mich zugeeilt, der bisher auf einem erhöhten Platz gestanden hatte, um jede Annäherung fremder Männer fernzuhalten. Mit höflichem Lächeln hielt ich ihm meinen Paß entgegen, aber wütend erklärte er, daß ich mich solchen Bildermachens in Nepal zu enthalten und vor allen Dingen das aufgenommene Bild herauszurücken hätte. Ich bedauerte unendlich, daß er zu früh käme, da das Bild wirklich noch nicht fertig sei, versprach auch, diesen Apparat nie wieder in Nepal zu gebrauchen, schwieg aber behutsam von meiner sonstigen photographischen Ausrüstung. Mit wachsender Keckheit fügte ich dann hinzu, daß ich, sobald ich nach Katmandu käme, mich beim Durbar über sein unhöfliches Benehmen beschweren würde. Ganz verblüfft über meine Zuversicht zog der oberste Wächter der holden Weiblichkeit ab, während mir keineswegs sehr wohl zu Mute war. Wenn in dem verschlossenen Lande Nepal meine photographischen Versuche ferner soviel Widerstand fanden, hatten alle photographischen Vorrichtungen, die ich auf der Reise mit mir schleppte, herzlich wenig Wert für mich. So hatte ich an einem einzigen Tage zwei für mich denkwürdige Begegnungen mit der sonst so unnahbaren [251] indischen Damenwelt, für die ich, weil sie voll soviel rührender Weiblichkeit ist, sehr beträchtliche Sympathien übrig habe.
Meinen Schirm und Sonnenhelm hatten die Kulis in Verwahrung genommen, als aber die Sonne am schärfsten stach und blendete, waren sie damit natürlich nicht zur Stelle, so daß mir nichts übrig blieb, als einem Bauernjungen einen Korb voll Rettiche abzuhandeln, nur um mir den dichtgeflochtenen Bambuskorb als Schattenspender über den Kopf zu stülpen, weil ich bereits ganz schauderhafte Kopfschmerzen und jenes unheimliche Schwarzwerden vor den Augen verspürte, das einem Sonnenstich voranzugehen pflegt. Mit Ingrimm dachte ich auch an die köstlichen Orangen, die mit meinem Tragstuhl zurückgeblieben waren, während ich nichts bei mir hatte, um meinen brennenden Durst zu stillen, denn meine Rettiche wären mir wohl im Münchener Hofbräu aber nicht hier von Nutzen gewesen.
In Tschitlong traf ich ein ungeheures Getümmel. Auf die bereits von mir getroffenen vorausgeschickten Haremsdamen, Treiber und Elefanten folgte hier die Meute mit den Hundewärtern und Büchsenspannern, die in Tschitlong ihr Nachtlager beziehen sollten. Meine Augen waren aber von der blendenden Sonne so entzündet, daß sie schmerzten und ich schleunigst das Rasthaus aufsuchen mußte.
Ich kletterte die Stiege zu dem unsauberen, durch Fensterladen verdunkelten oberen Stockwerk empor und setzte mich erschöpft in eine Wandnische, um die Ankunft der Kulis abzuwarten, die mich nun schon so oft durch ihr Zurückbleiben verstimmt und geschädigt hatten; ich fühlte mich ernstlich unwohl und wußte, wie wenig mit solchen Zuständen in diesem Klima zu spaßen ist. Plötzlich klirrten Ketten in dem unteren Treppenraum, Hunde kläfften, und ich hörte, wie ein paar auf der Treppe zurückbleibende Schikare, die mich in dem herrschenden Dämmerlicht nicht bemerkten, ihren auf Leoparden dressierten Bluthunden die Ketten lösten; sofort stürmten die Köter die Treppe vollends heraus und auf mich los. Die Hundewärter kreischten entsetzt auf, als sie durch meinen Zuruf meine Anwesenheit erfuhren und sprangen auch sogleich an meine Seite, um mit ihren Drahtpeitschen wie unsinnig auf die Rüden loszudreschen, die sie auch glücklich in eine Ecke zu prügeln und wieder an die Kette zu legen vermochten. Ich hatte schon früher einmal genug von Wolfshunden in den siebenbürgischen Karpaten zu leiden gehabt und war gar nicht begierig, mit Kötern, die mit Tigern und Rhinozerossen verkehrten, in nähere Berührung zu kommen. Die gewaltige Aufregung hatte aber wenigstens das Gute gehabt, mich gründlich in Schweiß zu bringen, worauf ich mich wesentlich wohler fühlte und auf einem Tscharpeu, den die Hundewächter herbeischleppten, in Schlaf sank. Als ich aufwachte, stand mein Tragstuhl neben meinem Lager, und gierig fiel ich über die Orangen her, während ein Oxtailragout[WS 8] und andere Leckerbissen aus meinem Proviantkorbe warm gemacht wurden.
In der Hoffnung, daß ich in der staubigen Paua voll Spinngeweben und Ungeziefer die Nacht zubringen würde, schleppten die Kulis mein ganzes [252] Gepäck die Treppen herauf, erschraken aber nicht wenig, als ich ihnen rundweg erklärte, daß ich ihr beständiges Zurückbleiben mit den für mich nötigsten Sachen satt hätte und noch am selben Abend über den Tschandragiripaß bis nach Thankot wolle.[WS 9] Ganz abgesehen von der Unsauberkeit des Ortes, hätte mir auch das unaufhörliche Gekläff aus Hunderten von Hundekehlen keine angenehme Nachtruhe vergönnt; deshalb bat ich den Hauptmann, der die Meute befehligte, um Beistand und brachte mit dessen Hilfe auch eine neue Kulikolonne auf die Beine, nachdem die Mehrzahl meiner Träger erklärt hatte, nicht mehr weiter gehen zu können. Ich zog es diesmal vor, mich behaglich in meinen in allen Fugen ächzenden Tragstuhl zu setzen, doch hatten es die Kahars nicht leicht, gegen den uns begegnenden Strom von Jagdhelfern anzuschwimmen, die wie ein Heerwurm von der Höhe des Tschandragiripasses auf einem überaus bösartigen, steinigen Pfad nach Tschitlong hinunterstiegen. Immer neue Mengen von Hunden und Jagdfalken wurden an mir vorbeigeführt, immer seltsamere Gestalten hoher und höchster Würdenträger an mir vorbeigetragen. Die meisten dieser Generäle und Hofbeamten schienen es nämlich für das Bequemste zu halten, sich nicht in einem Stuhl, sondern gleich in einer an dicker Stange festgebundenen Wolldecke wie ein Paket über Berg und Tal transportieren zu lassen. Bisher hatte ich immer geglaubt, bei dem von mir erwähnten Durbar des Maharadschah von Gwalior die wunderlichsten Gestalten Indiens versammelt gesehen zu haben, hier aber kam mir das meiste von dem, was Nepal an martialischen Prachtgestalten aufzuweisen vermag, wie auf einem Präsentierteller, oder richtiger in Hängematten, entgegen!
Es war ein Glück, daß die schweren Nachmittagsschatten überhaupt keine Momentphotographien mehr zugelassen hätten, sonst hätte mich doch das Verbot des Photographierens unsäglich geärgert. Die bunteste Augenweide, die Indien bieten kann, zog hart bei mir vorüber, der ganze ungeheure Schwarm von Menschen, alle die seltsamen Geräte und die Berge von Lebensmitteln, die zu einem Zeltlager so vieler an glänzenden Prunk und üppiges Wohlleben gewöhnter Damen und Herren gehören. Ich mußte staunen, wieviel Kräfte allein zum Fortbewegen der zahllosen Ballen von Leinwand und des Waldes von riesigen Zeltstangen erforderlich waren, aus denen solche Zeltstadt ersteht.
Das größte Vergnügen machte mir die Begegnung mit dem zu einer solchen Jagd und Zelthofhaltung erforderlichen Kleingelde. Je tausend Rupien in verschiedenen Münzsorten waren in einen gewaltigen Sack eingenäht, der dann wie ein Heiligtum in einer Hängematte transportiert wurde. Es schienen mehr als hundert derartige vollgepfropfte Portemonnaies zu sein, deren Inhalt bei dieser Gelegenheit unter die Leute gebracht werden sollte. Hin und wieder wurde auch einem in seiner Hängematte schaukelnden Großen des Reichs ein Jagdpferd nachgezerrt, das zitternd und schaumbedeckt nur durch Anwendung von brutaler Gewalt schrittweise auf diesem abscheulichen Wege vorwärts zu bringen war; wertvollere Pferde wurden dagegen, in Sänften oder riesigen Dändis verpackt, von einer Anzahl Kulis über die Paßhöhe geschafft. [253] So löste ein merkwürdiger Anblick den anderen ab. Ich glaube jedes Gewehr und jede Badewanne, jeden Musikanten und jede Tänzerin, kurz all und jedes gesehen zu haben, was zu dem Jagdlager über die Berge geschafft wurde. Ich konnte wirklich nicht zählen, wie viele hundert Körbe voll Orangen, Ananas und Rettiche, wie viele Hunderte von Säcken mit Reis und Käfigen voll Enten und Hühnern, oder wieviel Ziegen- und Hammelherden an mir vorbeigeschafft wurden, aber jedenfalls übertraf dieses Übermaß alle Vorstellungen, die ich mir bis dahin von einer solchen asiatischen Jagdveranstaltung gemacht hatte. Man zeigte mir z. B. allein fünfzig Körbe mit Fasaneneiern, deren Gelbes die Damen des Hofes zur Pflege ihres schönen schwarzen Haares zu benutzen gedachten!
Auf der Paßhöhe angelangt, kletterte ich aus meinem Dändi heraus, um meinen Abstieg zwischen den dichten Scharen der Heraufkommenden lieber zu Fuß zu versuchen. Ich setzte mich, um meine Schuhe wieder gegen derbere Bergstiefel zu vertauschen, auf einen Felsblock und hatte bald eine Unzahl von mich anstaunenden Bergsoldaten um mich versammelt; die Aussicht nach Süden, auf den zurückgelegten Weg lag unbeschränkt vor mir, die nach Norden war aber zu meinem Leidwesen durch dichtes Buschwerk vollständig versperrt, und ich blickte wohl ziemlich verdrießlich auf diese üppig grünende Wand.
Während meines Schuhwechselns trat ein höherer Offizier an mich heran und gab, nachdem er gehört hatte, daß ich nur aus Wissensdrang nach Nepal gekommen sei, um die Merkwürdigkeiten des schönen Landes kennen zu lernen, einigen Gorkhasoldaten einen leisen Befehl, den diese ihren noch emporsteigenden Kameraden übermittelten. Mit wunderbarer Schnelligkeit sanken unter den wuchtigen Hieben ihrer krummen Kukrimesser[WS 10] die Bäume und Sträucher hinter meinem Sitz und enthüllten dort wie mit einem Zauberschlage ein Bild, das man so märchenhaft schön nirgends in der Welt zum zweiten Male finden kann.
Allerdings hatte ich ja bereits früher in den Gletscherwildnissen des eigentlichen Himalaja aus allernächster Nähe viel erschütterndere Eindrücke der Hochgebirgsschönheit empfangen, hier aber sah ich, wenn auch aus viel größerer Ferne, dafür aber um so umfassender, die großartigsten Berggestalten unserer Erde, den Gaurisankar, Kanschendschunga und Dhaulagiri[WS 11] als denkbar erhabensten irdischen Hintergrund vor dem nun Groß-Nepal das fruchtbare Tal des Bagmatistromes mit der Landeshauptstadt Katmandu, zu meinen Füßen lag. Diese blendendweiße Alpenkette am Horizont begann bereits in den letzten Strahlen der sinkenden Sonne zu glühen, und goldschimmernde Tempelspitzen lenkten meinen Blick in die Tiefe zu zahlreichen Städten und Dörfern inmitten wohlbebauter Felder, zwischen denen die Wasserläufe des Bagmati und Wischnumati[WS 12] und ihrer Zuflüsse blinkten. Die ganze Landschaft war von vollendetster, wahrhaft idealer Schönheit, verblaßte aber bald in Nebel und Dämmerung. Nur der Firngipfel des Everest-Gaurisankar strahlte noch geraume Zeit in rötlichem Lichte und rechtfertigte den Glauben der Nepaler, daß der furchtbare Gott Mahadeo mit besonderer Vorliebe auf diesem Berggipfel throne. Ohne [254] die hilfreiche Pionierarbeit der Gorkhas hätte ich freilich nichts von diesem unvergleichlichen Bilde sehen können, und es war eine wahre Herzensfreude für mich, unter so günstigen Vorbedeutungen in das sagenhafte Land zu gelangen.
Der Abstieg nach dem 2500 Fuß tiefer liegenden Thankot war in der Dunkelheit recht beschwerlich. Schlimmer aber war es, daß auch rund um Thankot jedes Fleckchen Land mit Zelten und Bambushütten des Jagdgefolges gespickt und die Luft so durch Fackelqualm verdorben war, daß auch hier ein Nachtlager kein Vergnügen für mich geworden wäre. Durch verschwenderische Anwendung von Backschisch glückte es mir, auch hier neue Träger zu gewinnen und mit diesen in tiefer Mitternacht vor meinem Standquartier in Nepal, dem Dak-Bungalo in Katmandu, einzutreffen. Allerdings zog ich mir, warm von dem strapaziösen Abstieg, in der bitterkalt werdenden Nacht während des Transportes im Tragstuhl einen bösen Rheumatismus zu, aber ich erkannte doch schon bei diesem nächtlichen Zuge durch die Straßen Katmandus, daß ich in einem überaus merkwürdigen Lande reiste, dessen Besuch die darauf verwendete Mühe in reichem Maße zu lohnen versprach.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ WS: Bam Bahadur: vergleiche Bam Bahadur Kunwar Rana (1818–1857), Bruder Jang Bahadurs.
- ↑ WS: Jan Bahadur: vergleiche Jang Bahadur Rana, regierte 1845-1877.
- ↑ WS: Paradiesäpfel: vermutlich keine Tomaten, sondern Granatäpfel
- ↑ WS: Markufluß: das ist der Kulekhani: das Dorf Markhu (en) liegt direkt an der heutigen Talsperre Kulekhani.
- ↑ WS: Tschitlong: vergleiche Chitlang (en)
- ↑ WS: Tasso: vergleiche Torquato Tasso (Goethe), 5. Akt, 2. Auftritt.
- ↑ WS: Kodak: vergleiche Kodak.
- ↑ WS: Oxtailragout: vergleiche Ochsenschwanzragout
- ↑ WS: Tschandragiri, Thankot: vergleiche Chandragiri (Kathmandu), Thankot (en)
- ↑ WS: Kukri: vergleiche Khukuri
- ↑ WS: Dhaulagiri: vergleiche Dhaulagiri
- ↑ WS: Wischnumati: vergleiche Bisnumati River (en), auch Bishnumati und Vishnumati