Seite:Durch Indien ins verschlossene Land Nepal.pdf/310

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Ankunft eines deutschen Reisenden gesprochen hätte; sie selbst sei eine Lady Doctor aus Kalkutta und nach Katmandu berufen gewesen, um den Favoritinnen des Königs und des Maharadschah, denen ja kein anderer Mann zu nahe kommen darf, den zarten Puls zu fühlen. Hiermit habe sie die letzten drei Monate zu tun gehabt und sei nunmehr mit einem riesigen Sack voll Rupien und massenhaften Geschenken auf der Heimreise, und ich solle ja nicht versäumen, sie bei meiner Rückkehr nach Kalkutta aufzusuchen. Im Handumdrehen erhielt ich dann noch eine Menge wichtiger Winke für meinen Aufenthalt in Nepal, erfuhr, daß z. B. die Gemahlin Bam Bahadurs[WS 1] gestorben sei, weil sie nicht gestatten wollte, daß der Arzt der englischen Gesandtschaft sie behandele, und daß selbst Jan Bahadur[WS 2] nur die chirurgische, nicht aber die medizinische Heilkunst der Europäer als der einheimischen überlegen anerkannt habe. Ich verzehrte dabei gelassen ein Stück Torte nach dem anderen und mußte schließlich noch ein paar Dutzend Orangen und Paradiesäpfel[WS 3] annehmen, die in meinen inzwischen angelangten Tragstuhl gepackt wurden.

Dankbarlichst muß ich hierbei erwähnen, daß mir meine brünette Freundin später in Kalkutta einen längst gehegten Wunsch erfüllte, indem sie mich mit mehreren vornehmen Hindudamen bekannt machte, deren märchenhafte Schönheit sonst für jeden Europäer verschleiert bleibt, und daß sie auch die Freundlichkeit hatte, mir Zutritt in eine von ihrer Schwester geleitete Schule für Hindutöchter hoher Kasten zu verschaffen. Ich durfte sogar dem Unterricht beiwohnen, der dort sämtlichen sechs Klassen gleichzeitig in einem lustigen, von korinthischen Säulen getragenen Saale erteilt wurde, wobei sich aber die jungen Damen so elfenhaft geräuschlos benahmen, daß man kaum einen einzigen hörbaren Laut vernahm! Und doch entzifferten in der einen Ecke heiratsfähige Hindumädchen vergilbte Palmblätter voll Sanskritinschriften, in einer anderen Saalnische wurden geometrische Probleme gelöst, in der Mitte des Raumes rezitierte ein Pandit mit pechschwarzer, geölter Mähne, mit nur flüsternder Stimme, aber mit vorzüglichem, ausdrucksvollem Mienenspiel seinen schwärmerisch dreinschauenden Schülerinnen altindische Dichterworte, und am anderen Ende des Saales bemühte sich eine kleine, dicke, schwarzbraune Lehrerin, die eine allerliebste, gar nicht schulmeisterliche, kokette Perlenrosette im linken Nasenflügel trug, ihren Kleinen die Anfangsgründe der Schreibkunst vorzumalen. Ich habe nie das Glück gehabt, mich in eine deutsche höhere Töchterschule einschleichen zu können, bezweifle aber natürlich nicht im geringsten, daß auch dort sechs Klassen in gleicher Stille nebeneinander studieren könnten. Daß mich übrigens bei meiner unerhörten Erscheinung manches Hindubackfischchen mit leuchtenden Blicken und weit geöffnetem Mäulchen anstarrte, als ob ich ein leibhaftiger Märchenprinz auf der Brautschau wäre, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.

Vom schönen Sissagaripaß stieg ich in prächtigster Laune zu dem Flußbett hinunter, oder, ehrlicher gesprochen, ich ließ mich im Dändi recht gemütlich hinuntertragen. Das schien mir doch nach dem reichlichen Frühstück und

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Bam Bahadur: vergleiche Bam Bahadur Kunwar Rana (1818–1857), Bruder Jang Bahadurs.
  2. WS: Jan Bahadur: vergleiche Jang Bahadur Rana, regierte 1845-1877.
  3. WS: Paradiesäpfel: vermutlich keine Tomaten, sondern Granatäpfel
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/310&oldid=- (Version vom 1.7.2018)