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Efeu um die gewaltigen Ruinen verbreitet? Nepal gleicht aber in vielen Stücken einer solchen Ruine, deren Geschichte und Schicksale den Efeu bilden, durch den uns die morschen Steine in dem anziehenden Schimmer der Romantik und zugleich der höchsten wissenschaftlichen Bedeutung erscheinen.

In Nepal findet der Forscher das Land noch größtenteils in demselben Zustand, in dem das ganze nördliche Indien vor mehr als tausend Jahren gewesen ist, zu einer Zeit, als dort Brahminismus und Buddhismus Seite an Seite bestanden. Während dann aber in Indien der Islam diese beiden Kulte und ihre Religionsstätten beeinträchtigte, blieben sie in Nepal von diesem Einfluß völlig unberührt und konnten nebeneinander fortblühen und wachsen. Dieser Umstand und Unterschied gibt dem Lande sein Gepräge, nicht minder das Gebirgsklima, das selbst die in Nepal lebenden Hindus zu strafferen, energischeren Menschen gemacht hat als die in der Ebene lebenden, auf die sie deshalb auch mit einiger Geringschätzung herabzusehen pflegen, während andererseits die strenggläubigen Brahmanen von Benares ihre Kastengenossen in Nepal ihrer lässigen Befolgung ritueller Vorschriften halber fast als Parias verachten.

Der Durbar hatte mir gestattet, außer Katmandu auch die hervorragendsten Orte in Groß-Nepal, die nicht allzu weit von dieser Stadt entfernt sind, nämlich Patan, Bhatgaon, Paschpattinath, Swajambunath und Buddhnath,[WS 1] zu besuchen. Ehe ich mich aber auf die Wanderschaft begeben konnte, mußte ich das Rasthaus in stand setzen lassen und mein Faktotum,[WS 2] ein entsetzlich stotterndes, pockennarbiges Bürschchen, zum Koch und Kellner anlernen; er war der einzige Nepale, der sich zutraute, meinen Magen gehörig pflegen zu können, und dank meiner Konservenkiste war dies schließlich auch kein allzu großes Kunststück. Seine eigenen Leistungen, namentlich auf dem Gebiete der Mehlspeisen, will ich aber aus Rücksicht auf die zarten Nerven meiner verehrten Leserinnen lieber gar nicht schildern; der gute Mann konnte schließlich doch nichts dafür, wenn z. B. die Tibeter, in deren Kolonie Buddhnath er die Butter für mich kaufte, diese einfach dadurch herstellten, daß sie fette Yakmilch in Fellbeuteln schüttelten und dann die Butter aus dem Fell herauskratzten, und leider konnte ich ihm nie begreiflich machen, daß mir seine überhaupt etwas rätselvollen Puddings viel besser schmecken würden, wenn er die Güte haben wollte, alle darin enthaltenen Haarflocken als besonderen Gang aufzutischen. Mit sehr gemischten Gefühlen sah ich zugleich, wie sich der Freundeskreis dieses Prachtkoches von Tag zu Tag mehrte, zuerst schien nur seine eigene Frau sich von dem an jedem Morgen auf meine Kosten in die geheimnisvolle Küche geschafften Milchvorrat etwas abzugießen, bald aber erschien noch eine gute Freundin, schließlich noch mehrere, und endlich sogar ein ganzer Haufen, die mit allerlei Kübeln und Gefäßen bewaffnet waren, um von meinen zwei oder drei Litern Milch eine kleine Abgabe zu ergattern und den Ausfall sehr sinnreich durch Einträufeln von Wasser zu ersetzen. Jagte ich das unsaubere Lumpengesindel fort, so schlich es nur um den Bungalo herum und tauchte grinsend von der anderen Seite her wieder auf.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Patan, Bhatgaon, Paschpattinath, Swajambunath, Buddhnath: vergleiche Lalitpur (= Patan), heute mit Katmandu verwachsen; Bhaktapur; Pashupatinath; Swayambhunath; Bodnath
  2. WS: Faktotum: vergleiche Faktotum.
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/320&oldid=- (Version vom 1.7.2018)