Seite:Edith Stein - Aus dem Leben einer jüdischen Familie.pdf/289

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

plötzlich auf der Straße stehen und fragte: „So, nun sagt einmal ehrlich: Was hat besser geschmeckt – die falschen Basler Leckerli oder die echten? Ich fand, die echten waren viel besser. Aber ich hab mich gehütet, es Frau Husserl zu sagen“. Dabei lachte er spitzbübisch, und wir alle waren frei von der Beklommenheit, die wir mitgebracht hatten.

Ich habe nicht mehr in Erinnerung, wann Reinach und wann ich selbst abreiste. Für meine Arbeit waren die Besprechungen mit Husserl sehr ermutigend gewesen, und es ging nun flott weiter. Aber sie war noch nicht abgeschlossen, als die überraschende Nachricht kam, Husserl habe einen Ruf als Nachfolger Heinrich Rickerts nach Freiburg i.Br. bekommen und angenommen. Rickert kam an Stelle des verstorbenen Wilhelm Windelband nach Heidelberg. Diese beiden Häupter der „badischen Schule“ hatten ja eine gemeinsame und darum sehr wirkungsvolle Tätigkeit ausgeübt. Es war keine ganz leichte Aufgabe, um hier für die Phänomenologie Boden zu gewinnen. Aber Husserl zögerte keinen Augenblick, dem Ruf zu folgen. Er wurde damit aus der peinlichen Lage befreit, in der er in der Göttinger Philosophischen Fakultät so viele Jahre gewesen war, und kam auf einen der angesehensten philosophischen Lehrstühle in Deutschland. Noch glücklicher als er selbst war sicher Frau Malwine. Aber die Freude sollte nicht lange dauern. Mitten während der Vorbereitungen zur Übersiedlung nach Freiburg kam die Nachricht, daß ihr Liebling Wolfgang gefallen sei. Er hatte kurz vor Kriegsbeginn sein Abitur gemacht, hatte schon genaue Pläne für sein Sprachenstudium, auf das ihn seine ganz ausgeprägte Begabung hinwies. Als Siebzehnjähriger war er in das Göttinger Freiwilligenregiment eingetreten. Auch den Vater traf der Tod seines Jüngsten sehr hart. „Man muß ausdulden“, schrieb er an mich.


3.

Mir machte der rasche Übergang nach Freiburg einen Strich durch die Rechnung. Ich hatte sicher darauf gezählt, daß ich in der mündlichen Prüfung von denselben Herren geprüft würde wie im Staatsexamen und nur noch einer kleinen Wiederholung bedürfe, da für die Nebenfächer im Rigorosum viel weniger verlangt wird als für die facultas docendi. Nun mußte ich mich darauf gefaßt machen, zu ganz unbekannten Professoren zu kommen. Auf die erste Nachricht von Husserls Berufung hatte ich ihm sofort geschrieben, ob ich nicht meine Arbeit schleunigst zum Abschluß bringen und zur Promotion nach Göttingen kommen sollte. Aber

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Aus dem Leben einer jüdischen Familie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1965, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Aus_dem_Leben_einer_j%C3%BCdischen_Familie.pdf/289&oldid=- (Version vom 31.7.2018)