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Martin Heideggers Existentialphilosphie

denn „Sein und Nichts gehören zusammen …, weil das Sein selbst im Wesen endlich ist und sich nur in der Transzendenz des in das Nichts hinausgehaltenen Daseins offenbart“[1].

Die antike Metaphysik verstand in dem Satz ex nihilo nihil fit unter dem Nichts den ungestalteten Stoff und ließ als seiend nur das Gebilde gelten. Die christliche Dogmatik leugnet den Satz, sie behauptet statt dessen: ex nihilo fit – ens creatum und versteht unter nihil die Abwesenheit von außergöttlichem Seienden. „Die Frage nach dem Sein und Nichts als solchen unterbleiben beide. Daher bekümmert auch garnicht die Schwierigkeit, daß, wenn Gott aus dem Nichts schafft, gerade er sich zum Nichts muß verhalten können. Wenn aber Gott Gott ist, kann er das Nichts nicht kennen, wenn anders das Absolute alle Nichtigkeit von sich ausschließt“[2].

Durch Heideggers Deutung erhält der Satz „einen anderen, das Seinsproblem selbst treffenden Sinn und lautet: ex nihilo omne ens qua ens fit. Im Nicht des Daseins kommt erst das Seiende im Ganzen seinen eigensten Möglichkeiten nach, d.h. in endlicher Weise zu sich selbst“[3]. Alles Fragen nach dem Seienden beruht auf dem Nichts: „Einzig weil das Nichts im Grunde des Daseins offenbar ist, kann die volle Befremdlichkeit des Seienden über uns kommen“[4]. Die Metaphysik „ist das Grundgeschehen im und als Dasein selbst“. Sie geschieht „durch einen eigentümlichen Einsatz der eigenen Existenz in die Grundmöglichkeit des Daseins im Ganzen. Für diesen Einsatz ist entscheidend: einmal das Raumgeben für das Seiende im Ganzen; sodann das Sichloslassen in das Nichts … und am Ende das Ausschwingenlassen dieses Schwebens, aufdaß es ständig zurückschwinge in die Grundfrage der Metaphysik, die das Nichts selbst erzwingt: Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?[5]

Es ist klar: der Vortrag, der für ein nicht fachlich geschultes Publikum berechnet war und eher aufreizen als belehren wollte, verzichtet auf die Strenge der wissenschaftlichen Abhandlung. Er läßt Schlaglichter aufblitzen, er gibt keine ruhige Klarheit. So ist es schwer, ihm etwas Greifbares zu entnehmen. Die Redeweise klingt stellenweise geradezu mythologisch: es wird von dem Nichts fast


  1. a.a.O. S. 26.
  2. a.a.O. S. 25.
  3. a.a.O. S. 26.
  4. a.a.O. S. 28.
  5. a.a.O. S. 28.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/132&oldid=- (Version vom 31.7.2018)