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Abschnitt III

es der Erlösung nicht bedarf, ist damit keineswegs gesagt. Das bange Seufzen der Kreatur harret auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Die dumpf in sich verschlossene und dabei doch ewig unruhig aus sich selbst herausgetriebene Seele des Tiers verlangt nach Geborgenheit, wie sie nur die Gnade geben kann. Aber es kann weder verstehen, was ihm fehlt, noch vermag der dumpfe Drang in ihm zum zielgerichteten Streben und zur befreienden Tat zu werden. Die Rettung muß ihm ganz von außen kommen. Sie kann ihm nur kommen von einem Wesen, das von sich aus einen Zugang zu seiner Seele findet und zu dem er seinerseits eine gewisse Brücke des Verständnisses hat. Der Mensch ist berufen, der Heiland aller Kreatur zu sein. Er kann es, soweit er selbst erlöst ist. Der Heilige versteht die Sprache der Tiere, er versteht sich ihnen verständlich zu machen, und der Bruder Wolf unterwirft sich ihm in Gehorsam.

Was erschließt dem Menschen die Seele des Tieres? Er selbst ist von Natur aus ein Tier und in der Einheit der Natur mit allem Geschaffenen verbunden. Der Gesetzlichkeit, die das Spiel der Eindrücke und Reaktionen beherrscht, ist er mitunterworfen. Er kann spüren, was in der Seele des Tieres lebt, in derselben Weise wie auch das Tier spürt, was in der Seele des Menschen ist. Er vernimmt das bange Seufzen der Kreatur und spürt die dumpfe Angst, die daraus spricht. Zu helfen aber ist er nicht als ein Stück Natur befähigt, sondern als Kind Gottes, das über die Natur erhoben ist. Frei aufgerichtet vermag er die Angst als Angst zu erkennen, die im Tier nur im Dunkel lebt. Und soweit er von göttlicher Liebe erfüllt ist, vermag er die angsterfüllte tierische Seele liebend zu umfassen. Sie aber findet in der Anlehnung an den beruhigten Menschen selbst Ruhe.

Ob der freie, aber noch nicht aufgehobene Mensch kraft natürlicher Liebe schon Ähnliches vermag? Offenbar gibt es keine natürliche Verbundenheit mit der Tierwelt wie natürliche Bande zwischen den Menschen, ein wechselseitig sich zueinander Hingezogen-fühlen und eine Art natürlicher Geborgenheit im Schutze gewisser Menschen. Aber diese natürliche Geborgenheit ist doch nur eine natürliche Basis für die echte und wahre, so wie die natürliche Liebe eine natürliche Basis für die Liebe in Gott. Im Schutze des ungeborgenen Menschen kann nichts wahrhaft geborgen sein. Aber es kann der berufene Schützer in ihm schon gespürt werden, noch ehe er faktisch

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/169&oldid=- (Version vom 31.7.2018)