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Die ontische Struktur der Person...

ist oder ob der Schöpfer selbst noch seine Hand darüber hält und eventuell andere Geister mit einem regelnden Eingreifen betraut hat, das alles sind Faktizitätsfragen, die nicht rational zu ergründen sind.


IV

Was bisher über die Gnade gesagt war, betraf allein innerseelische Wirkungen. Der Mensch war lediglich als geistig-seelisches Wesen genommen, das mit Geist und Seele dem Licht zustreben und in dessen Seele das Licht wahrhaft eingehen kann. Der Leib blieb ganz unberücksichtigt. Dabei darf man nicht stehenbleiben. Daß die menschliche Seele eingesenkt ist in einen körperlichen Leib und rückwärts daran festgebunden, das ist kein gleichgültiges Faktum. Die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen und muß geprüft werden, daß hier ein neuer Ansatzpunkt für Gnadenwirkungen und auch für eigene Heilstätigkeit ist. Dabei wird bestehen bleiben, daß die Seele allein im eigentlichen Sinne Wohnstätte des Lichts sein kann, und es wird sich nur darum handeln, ob es vermöge ihrer Gebundenheit an den Leib und der Einflüsse, die von daher kommen, einen neuen Zugang zu ihr gibt. Sich über die Art dieser Gebundenheit und die möglichen Einflüsse klarzuwerden, ist darum die nächste Aufgabe.

Der Leib ist als solcher charakterisiert und von dem puren materiellen Körper, der ihn mitkonstituiert, dadurch abgehoben, daß alle seine Zustände und alles, was ihm widerfährt, gespürt wird oder doch gespürt werden kann. Alles Leibliche hat eine Innenseite, wo Leib ist, da ist auch ein inneres Leben. Er ist nicht etwa ein Körper, der empfindet, sondern gehört als Leib notwendig einem Subjekt zu, das mittels seiner empfindet, dessen äußere Gestaltung er darstellt und das mittels seiner in die äußere Welt gestellt ist und gestaltend einzugreifen vermag, das seine Zustände spürt. Wo kein inneres Leben vorliegt, da ist auch kein Leib, was immer sonst die betreffende Entität mit dem Leibe gemeinsam haben mag. Was die dem Leibe notwendig zugehörige Innerlichkeit näher besagt, das lassen wir zunächst unerörtert. Wir stellen nur fest, daß es sich um kein körperliches Innen handelt. Denn soweit der Leib Körper ist, ist er bis in sein Innerstes äußere Gestaltung jenes Innen.

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/172&oldid=- (Version vom 31.7.2018)