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Die ontische Struktur der Person...

kann dann zunächst zur Folge haben, daß seine Kräfte intakt bleiben. Aber sie kommen nicht dem inneren Leben zugute, denn das Versagen des inneren Kraftquells führt zur Vermaterialisierung von Seele und Leib.

Auf der andern Seite kann der Wille die Hand auf alle der Psyche ursprünglich zu Gebote stehenden Kräfte legen – die vom Leibe wie die von der Seele her kommenden –, um auf sie gestützt den Leib seiner Herrschaft zu unterwerfen. Wenn sie das tut, ohne sich den Anschluß an die geistigen Kraftquellen zu sichern, so kann das Ergebnis der Askese nur Abtötung sein und nichts weiter. Leib und Seele werden davon aufgezehrt. Die Tyrannei des Leibes wird gebrochen, aber es wird nichts dafür gewonnen. Die Befreiung aus eigener Kraft, das sahen wir schon früher, führt zur völligen Entleerung.

Die Befreiung vom Leibe durch Askese ist nur dann sinnvoll, wenn sie nicht Selbstzweck ist, sondern geschieht, um das Leben der Seele unabhängig zu machen. Sie darf nicht in der konzentrierten Willensleistung aufgehen, sondern muß ihren Blick auf die geistigen Sphären heften, in denen sie wahrhaft leben und aus denen sie sich erneuern kann. So vermag nur die Mitwirkung der Gnade den Weg der Askese zu einem Heilswege zu gestalten.

Die Askese knüpft rein an die vom Standpunkt des Heils gesehenen negativen Seite des Verhältnisses von Seele und Leib an, die Bindung, die das Leben der Seele stört, und sucht diese Bindung zu lösen, sei es auch auf Kosten positiver Werte, deren Träger der Leib ist. Sie opfert Gesundheit und Schönheit des Leibes und auch die natürliche Freiheit, die er gewähren kann, um ihn ganz in die Hand zu bekommen. Es ist die Frage, ob das der einzig mögliche Weg ist, um die Freiheit zu erlangen. Sicher ist es der einzige, den der Mensch von sich aus zu gehen vermag. Aber wir sahen bei der Betrachtung des rein und unvermittelt in der Seele ansetzenden Erlösungswerks, wie weit die Gnade dem Menschen entgegenkommen kann, und es ist nicht von der Hand zu weisen, daß auch hier wiederum der Gnade noch ganz andere Wege zur Verfügung stehen.

Je mehr die Seele vom Geist des Lichts erfüllt ist, desto mehr entschwindet ihr alles andere, die ganze irdische Welt und auch der eigene Leib, der dahin gehört. Diese Ablösung kann in der Verzückung bis zur völligen Empfindungslosigkeit und Entrücktheit

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/178&oldid=- (Version vom 31.7.2018)