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Die Seelenburg

würde aus dem Leibe scheiden …“[1] Das ist ihre letzte Vorbereitung für die Erhebung auf die höchste Stufe des Gnadenlebens, die auf Erden erreichbar ist.

„Wenn es unserem Herrn gefällt, sich der Seele, die er geistigerweise schon zur Braut genommen, in seinem Mitleiden über das, was sie durch ihr Verlangen bisher mit ihm gelitten hat und noch leidet, zu erbarmen, so führt er sie, bevor die geistige Vermählung vollzogen wird, in seine eigene, das ist in diese siebente Wohnung ein …“[2]

Das geschieht in einer Verstandesvision, in der sich alle drei Personen zu ihrem Geist niedersenken. Durch eine wunderbare Erkenntnis, die ihr gegeben wird, sieht die Seele alsdann mit größter Gewißheit, wie alle drei Personen nur eine Wesenheit, eine Macht, ein Wissen und ein Gott sind; und zwar sieht sie das in einer Weise, daß man sagen kann, sie erkenne das, was wir sonst durch den Glauben festhalten, durch Schauen, obwohl sie weder mit den Augen des Leibes noch auch… mit den Augen der Seele etwas sieht. Alle drei Personen teilen sich ihr mit, sprechen zu ihr und erschließen ihr das Verständnis jener Worte des Evangeliums, die der Herr gesprochen, daß nämlich er und der Vater und der Heilige Geist kommen und Wohnung nehmen werden in der Seele, die ihn liebt und seine Gebote hält“[3].

Diese „göttliche Gesellschaft“ verläßt die Seele nun nicht mehr; sie sieht sie aber nicht immer in der gleichen Klarheit wie das erste Mal; diese Klarheit zu erneuern steht allein bei Gott. Die Seele soll nicht beständig in diese Anschauung vertieft sein, sondern ihren Pflichten nachgehen. Ja, „sie achtet weit mehr als vorher auf alles, was den Dienst Gottes angeht, und nur, wenn sie frei von Geschäften ist, weilt sie in dieser angenehmen Gesellschaft“[4]. Dabei ist es, als ob das Wesentliche der Seele „auch bei noch so großen Leiden und noch so vielen Geschäften sich gar nie von jenem Gemach entferne“[5] und als sei die Seele geteilt, Maria und Martha zugleich. Es zeigt sich „ ein ganz offenbarer Unterschied zwischen der Seele und dem Geist, obgleich im übrigen beide ein– und dasselbe sind. Man erkennt da zuweilen eine so feine Teilung, daß sie verschieden voneinander


  1. a.a.O. S. 261.
  2. a.a.O. S. 264.
  3. a.a.O. S. 267 f. Joh. 14, 23.
  4. a.a.O. S. 269.
  5. a.a.O. S. 270.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/58&oldid=- (Version vom 31.7.2018)