Seite:Eine merkwürdige Liebesgeschichte.pdf/3

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Eine merkwürdige Liebesgeschichte. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 9, S. 202–206

überreich geschmückt. Zunächst war ihre Freude über diese sinnige Aufmerksamkeit groß. Als sie aber erfuhr, daß Lichatschew, derselbe Lichatschew, der auch wegen seiner galanten Abenteuer bereits berüchtigt war, der Spender des Blütenflores sei, mochte sie fürchten, es könnte ihrem Rufe schaden, wenn sie derartig kostspielige Aufmerksamkeiten des ihr bisher persönlich nicht bekannten jungen Millionärs annähme, und ließ daher die ganze Blumenpracht kurzerhand hinausschaffen, ebenso wie sie es auch ablehnte, den galanten Gardeleutnant, der sich bald darauf bei ihr anmeldete, zu empfangen. Lichatschew, der sich in die Photographien der Mölmer, die der Reklame wegen seit Wochen in vielen Schaufenstern hingen, verliebt hatte, war infolge dieser Abweisung äußerst aufgebracht und schwur der Künstlerin im ersten Ärger bittere Rache.

Als nach drei Tagen die erste der Gastspielvorstellungen stattfinden sollte, hatte Lichatschew schon vorher sämtliche Karten aufkaufen lassen, so daß der verwöhnte Operettenstar vor einem so gut wie leeren Hause – außer sechs Zeitungskritikern und vier Polizeibeamten auf Freiplätzen befanden sich nur noch drei Gardeoffiziere in der großen Mittelloge – spielen mußte. Zunächst weigerte die Mölmer sich energisch, vor diesem Auditorium überhaupt aufzutreten. Aber der Direktor pochte auf sein Recht und meinte, der Künstlerin könne es gleichgültig sein, wieviel Publikum vorhanden wäre, wenn sie nur ihre ausbedungene Gage erhielte.

Die Aufführung begann also. Der Beifall war stark, trotzdem sich nur sechsundzwanzig Männerhände dazu rührten. Nach dem letzten Fallen des Vorhangs erhielt die Mölmer einige wunderschöne dunkelrote Rosen in ihre Garderobe geschickt mit einer Karte, auf der unter dem Namen Lichatschew nur die Worte standen: „Jetzt, wo ich Sie von Angesicht zu Angesicht gesehen habe, flehe ich Sie an: Verzeihen Sie mir!“ Damit hatte der abgewiesene Gardeleutnant sich selbst als den Urheber dieser „Theaterleere“ bekannt.

Aber die zierliche Wienerin, die schon während der Vorstellung vor innerer Empörung über diesen Streich halbkrank geworden war, zertrat die Rosen mit den Füßen und riß

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Eine merkwürdige Liebesgeschichte. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 9, S. 202–206. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eine_merkw%C3%BCrdige_Liebesgeschichte.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)