Seite:Eine merkwürdige Liebesgeschichte.pdf/5

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Eine merkwürdige Liebesgeschichte. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 9, S. 202–206

Koketterie, daß sie nach dem letzten Aktschluß immer wieder vor dem Vorhang erscheinen mußte. Auffallenderweise fehlten heute die drei Gardeoffiziere in der Mittelloge. Als die Vorstellung beendet war, verließ die Operettendiva durch den Seiteneingang das Theater und betrat die Straße, wo bereits der für sie bestellte Wagen wartete. Die Mölmer und ihre Kammerfrau waren jedoch nicht gerade angenehm überrascht, daß man ihnen ein offenes Gefährt geschickt hatte. Es war bereits herbstlich kühl, und die Sängerin fürchtete sich zu erkälten. Als sie noch zauderte einzusteigen, wies der Kutscher stumm auf zwei kostbare Pelzmäntel, die auf den Wagenkissen lagen, und half den beiden Damen dann auch galant in die schützenden Hüllen.

In bester Laune und wahrhaft erfrischt von der Fahrt langten Ida Mölmer und ihre Begleiterin vor ihrem Hotel an. Aber kaum waren sie ausgestiegen, als der Kutscher auch schon auf die Pferde lospeitschte und davonjagte, so daß die Damen gezwungen waren, die Pelze mit in ihre Zimmer hinaufzunehmen. In der Tasche desjenigen, den die Künstlerin getragen hatte, fand sie dann einen Brief, in dem Lichatschew sich ihr als den Rosselenker zu erkennen gab, abermals ihre Verzeihung anflehte und die Diva bat, den Hermelinpelz als Zeichen ihrer versöhnlichen Stimmung gütigst behalten zu wollen. Am nächsten Morgen schickte Ida Mölmer die beiden Pelze in das Palais des Grafen zurück – ohne jede Zeile.

Lichatschew, der inzwischen sein Herz an die fesche Wienerin vollständig verloren hatte, sah jetzt endlich ein, daß er der Künstlerin gegenüber bisher eine falsche Taktik verfolgt hatte, und versuchte nun drei Tage hintereinander auf jede nur mögliche Weise ihre Bekanntschaft zu machen oder sie doch wenigstens zu versöhnen. Die Mölmer blieb unerbittlich. Alle Briefe, die ihr, oft auf die raffinierteste Art, in die Hände gespielt wurden, blieben ungelesen, sobald sie erkannte, daß sie von dem jungen Grafen herrührten.

Da nahm dieser zu einer neuen List seine Zuflucht. Er hatte eines Tages erfahren, daß die Diva eine Ausfahrt in die Umgebung von Petersburg machen wollte, und wußte es

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Eine merkwürdige Liebesgeschichte. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 9, S. 202–206. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eine_merkw%C3%BCrdige_Liebesgeschichte.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)