ohne sein Erbgut so wenig denken kann, wie seine Seele ohne seinen Leib, nie beunruhigt, die Frage: „Was gelte ich?“ bedrängte ihn und brachte ihn endlich um alle Zuversicht, um all sein unbefangenes Selbstvertrauen.
Da zum ersten Male trat ihm in schwüler Ball-Atmosphäre, umrauscht von den Klängen der Musik, umweht von Blumendüften, umstrahlt von Kerzenschimmer, die glänzende Gräfin Marianne von Neumark entgegen, und er schloß sich sofort der dicht gedrängten Reihe ihrer Bewerber an. Wohl hieß es, Marianne habe kein Herz, ihre Liebenswürdigkeit sei werthlos, denn sie bestehe nur in Worten und werde gleichmäßig an alle, die ihr nahten, verschwendet; aber dennoch vermochte keiner, der einmal von ihrem Zauber berührt worden, sich ganz aus demselben zu lösen. Der Fürst war kaum in den Bereich von Mariannens Anziehungskraft gelangt, als er sich mächtig ergriffen fühlte. Mit geradezu blendender Klarheit leuchtete es ihm ein, er habe das Weib gefunden, das für ihn geschaffen sei, und vierzehn Tage nach ihrer ersten Begegnung stellte er sehr beklommen, sehr bewegt – wenn auch nicht ohne Siegesgewißheit – seinen Heirathsantrag.
Er wurde ausgeschlagen, und Eberstein kränkte sich, zürnte, verlangte die Gründe der erlittenen Abweisung zu kennen. Mit sanfter Ruhe setzte Marianne ihm dieselben auseinander, und es waren lauter triftige Gründe: Sie hatte sich an Unabhängigkeit gewöhnt, sie taugte nicht mehr für die Ehe, längst stand bei ihr fest, daß ihr
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/303&oldid=- (Version vom 31.7.2018)