Sie behielt Recht … Es war ein Unglück gewesen. –
Paul fuhr mit der Hand über sein Angesicht und flüsterte im Weiterschreiten: „Arme Marie!“
Allmälig hatte der Wind sich gelegt; wie aufathmend nach schwerem Kampfe hoben die Bäume ihre Wipfel und streckten ihr Gezweige im Abendthau. Schläfrig zwitscherten Grasmücken im Gesträuch, ein paar Schwalben schossen pfeilschnell dem nahen Schlosse zu. Der Duft von Millionen Blüthen schwamm in der kräftigen Luft; immer lautloser wurde die schummertrunkene Natur; ringsumher überzog sich Alles wie mit durchsichtigen grauen Schleiern. Paul war aus dem letzten Laubgange getreten, der ihn noch trennte von dem Blumen-Parterre vor dem Schlosse. Eine breite Steintreppe mit schwerem Geländer führte von dem Saale im ersten Geschoß in den Garten hinab. Die Thür des Saales stand geöffnet; oben auf der Schwelle schimmerte etwas Weißes, ein winziges Wesen, das zu hüpfen, zu winken schien, und langsam ihm entgegen bewegten sich auf den Stufen zwei dunkle Gestalten …
„Vater! Mutter!“ rief Paul und war im nächsten Augenblicke bei ihnen. – Sie wandten sich um, der Greis stammelte den Namen seines Sohnes, über das Gesicht der Mutter flog ein Ausdruck der Verzückung, sprachlos streckte sie die Arme aus, ihre Knie wankten. Paul erfaßte die alte Frau und drückte sie an sich. Der Vater stand neben den beiden, klopfte Pauls Schulter
Marie von Ebner-Eschenbach: Nach dem Tode. In: Erzählungen. Berlin: Gebrüder Paetel, 1893, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erz%C3%A4hlungen_von_Marie_von_Ebner-Eschenbach.djvu/377&oldid=- (Version vom 31.7.2018)