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(Geschichte Israels 1878; umgearbeitet in Prolegomena zur Geschichte Israels 3. Ausgabe 1886) und seinem großen Anhang. – Wellhausen läßt im Gegensatz zu den oben genannten Kritikern die jehovist. Grundschrift zuerst entstanden sein und zwar in der Blütezeit des israelit. Königtums, während die zweite, das Deuteronomium, in der Zeit des Königs Josia verfaßt sein soll; die elohistische aber oder der Priesterkodex, wie er sie nennt, ist nach ihm erst nach dem Exil zur Zeit des Esra und Nehemia entstanden. Er hatte in diesen Anschauungen bereits Vorgänger: E. Reuß, † 1891, L. George, W. Vatke, † 1881, K. H. Graf, † 1869, welche mit Ausnahme des letzteren erst durch das Aufsehen, welches die Schriften Wellhausens machten, bekannter geworden sind. Wellhausen hat den Anstoß erhalten durch Graf und dieser wieder durch Reuß.

 Die Bedeutung des Auftretens Wellhausens liegt nicht in der neuen Ordnung, welche er den Quellenschriften anwies, sondern in seinem Urteil über ihren materiellen Inhalt. Sie sind ihm nicht Sammlungen von bisher noch nicht gesammelten und geordneten Geschichten und Gesetzen, sondern Sagenbücher und Tendenzschriften. Er denkt sich ihre Entstehung folgendermaßen: In der Königszeit dachte das israelitische Volk unwillkürlich darüber nach, wie wohl seine Vergangenheit möchte gestaltet gewesen sein. Es hielt dafür, so, wie zu dermaliger Zeit die einzelnen Stämme in Israel zu einander ständen, und zu Israel wieder die Nachbarvölker, so sei es auch in grauer Vergangenheit bei den Ahnherrn gewesen. So bildeten sich Sagen, in welchen das Volk die Gegenwart hineintrug in die Vergangenheit. Diese im Volksmund umlaufenden Sagen wurden gesammelt und so entstand zunächst die jehovistische Urkunde. Teilweise liegen den Erzählungen alte geschichtliche Thatsachen zu Grunde (z. B. in der Geschichte Josephs), aber im Ganzen erfahren wir aus dem Jehovisten nicht, wie es in der Patriarchenzeit aussah, sondern vielmehr, welche Verhältnisse in der Königszeit bestanden. Die Patriarchengeschichte ist nichts anderes, als der Schatten, den der Körper der Königszeit in die Vergangenheit hineinwirft. Danach kann Abraham für eine geschichtliche Person nicht gehalten werden; eher könnte er noch eine freie Schöpfung unwillkürlicher Dichtung sein. (Proleg. S. 332.) – Der Jehovist enthält auch Gesetzgebung Ex. 20–23 und 34. In den ersten Jahrhunderten des geteilten Reiches bestand das religiöse Herkommen z. B. in Betreff des Ortes der Gottesverehrung darin, daß Gott an verschiedenen heiligen Orten gedient werden durfte. Diesen Brauch sanktioniert das jehovistische Gesetz Ex. 20, 24 bis 26, und die Patriarchengeschichte bestätigt ihn durch Verherrlichung der verschiedenen gottesdienstlichen Stätten, wie Bethel, Beerseba, indem es denselben die Weihe geschichtlicher Vergangenheit gibt.

 Die nächste Urkunde, die in Betracht kommt, ist das Deuteronomium. Es ist in der Zeit verfaßt, in der es entdeckt wurde, also in der des Königs Josia. Es galt den Kultus zu reformieren, der an den verschiedenen gottesdienstl. Stätten immer die Neigung zu entarten hatte. Als Mittel zur Reform desselben