Seite:Ferdinand Wilhelm Weber - Kurzgefaßte Einleitung in die heiligen Schriften (11. Auflage).pdf/46

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spiegelt eben das Wesen des späteren Mosaismus ab, der ihn hervor[g]ebracht hat.

 Soweit Wellhausen. Seine Aufstellungen wären von der größten Tragweite, wenn sie durch unumstößliche Gründe gesichert wären. Den Beweis für dieselben will er aus der israel. Geschichte bringen, soweit der Verlauf derselben uns aus anderweitigen, unverdächtigen Zeugnissen bekannt ist. Dieser Verlauf zeige aber dieselben 3 Entwicklungsstufen des religiösen Lebens, wie sie in den 3 Pentateuchquellen zum Vorschein kommen: eine Zeit sozusagen natürwüchsigen Gottesdienstes, da man nach altem Herkommen Gott an verschiedenen heiligen Stätten verehrte; eine spätere Zeit, da man denselben zentralisierte; eine späteste, da man denselben und das ganze Leben des Volkes in die Fesseln eines strengen, starren Gesetzes einschnürte, d. h. die vorprophetische Zeit, die der (späteren) Propheten und des Königs Josia, und die nachexilische Zeit. Die Geschichtsbücher enthalten indes manche Partien, die der Anschauung Wellhausens widersprechen, z. B. Ri. 19–21 oder 2 Kge. 18, 4, 22. Hier hilft sich W. mit der von ihm freilich unbewiesenen (vgl. die Einleitung zu den histor. Büchern) Behauptung, daß wir es an solchen Stellen mit späteren Überarbeitungen zu thun hätten. Jene Heiligherrschaft des Pentateuchs trage nämlich allzuwenig die Züge eines wirklichen frisch aufstrebenden Volkstums an sich; und „das Buch als Grundlage des geistigen Lebens“ lasse sich wohl als Versuch begreifen, den Inhalt des Lebens einer entschwundenen Zeit in der Erinnerung festzuhalten, aber nicht als Ausgangspunkt einer Entwicklung.

 Es ist an dem letzteren Satz etwas Richtiges. So lang die Lebensquellen unmittelbar fließen, bedarf es keiner schriftlichen Grundlage. Allein W. bedenkt nicht, daß ein Unterschied in den Zeiten ist. Es gibt schöpferische Perioden und solche der Aneignung des Geschaffenen. Das Resultat der ersteren kann wohl in Schrift festgehalten werden, und die so entstandenen Schriften können dann der Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung werden, die deswegen durchaus nicht den Charakter des Starren, Mechanischen an sich tragen muß. So ist das neue Testament die Grundlage der Entwicklung der Kirche geworden. – Analogien zeigt auch die Profangeschichte. Weit entfernt, daß z. B. bei den Römern die Bräuche des Kultus auf mündlicher Überlieferung ruhten! Die Entwicklung des röm. Volkes hat keine solche Unterbrechung erfahren, wie die des jüdischen durch das babylon. Exil, und doch ist auch bei ihm, was religiös rechtens war, in Schrift vorhanden; und diese Schriften sind nicht etwa erst im Lauf der Zeit entstanden, sondern sie reichen in die Zeit der Bildung des röm. Volkes zurück. Die Pontifikalbücher, in denen die Götter und ihre Verehrung, die heiligen Ceremonien, Opfer und Opferstätten, die Obliegenheiten der öffentlichen Priester, das religiöse und auch das Privatrecht (der alten Zeit) beschrieben war, werden bis auf Numa Pompilius zurückgeführt (Liv. I, 20). Ebenso ruhte die Wissenschaft der Weissagung auf alten Büchern, die zu Ciceros Zeit Gegenstand gelehrter Arbeiten seitens der röm. und etruskischen Altertumsforscher waren, cf. Pauly, Realencyclopädie der klass. Altertumswissenschaft