und die einen haben vor den andern den Ruhm einer grösseren Ruhe, Unbefangenheit und – um es kurz zu sagen – eines grösseren Anstands voraus. Desto beklagenswerther sind wieder die Ausschreitungen in andern Fächern, und es braucht hier nicht aufgezählt zu werden, wie oft in deutschen Blättern ein Gelehrter die Arbeit eines andern für den Papierkorb empfohlen, oder die mehrjährige Arbeit eines Collegen als Makulatur bezeichnet hat. Es genügt ferner an Ausdrücke, wie Stupidität, Impotenz, Bornirtheit u. a. zu erinnern. Deshalb verlohnt es einmal der Mühe, den Ursachen dieser befremdenden und auffallenden Thatsache nachzuspüren und zu untersuchen, ob sie mehr den Eigenschaften und Zuständen der Deutschen entsprechen oder unsern Einrichtungen, oder ob beide einen gleichen Antheil daran haben.
Zunächst wird man kaum in Abrede stellen können, dass der Germane vor allen andern Culturvölkern Europas die grösste Entwicklung der Individualität zeigt, ein Zug, der besonders auf dem geistigen Gebiet bemerkbar ist. Es kann daher kaum von einem germanischen Charakter etwa in der Weise die Rede sein, wie vom Charakter der Italiener, der Spanier oder der Franzosen. Schon die einzelnen Länder und Provinzen zeigen daher – zum grössten Theil auch in Folge der verschiedenen Stämme- und Raçemischungen, die in ihnen stattgefunden haben – eine ganz bemerkenswerthe
Hans Flach: Der deutsche Professor der Gegenwart. Leipzig 1886, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Flach_Der_deutsche_Professor.djvu/071&oldid=- (Version vom 17.8.2016)