schlechte Anleitung zu bekommen, oder gar keine. Bei dieser Sachlage ist es nicht wunderbar, dass nirgends die Urtheile so auseinandergehen, wie über die Lehrfähigkeit der einzelnen Professoren. Daher nirgends ein so kolossaler Missbrauch in der Anerkennung oder Absprechung getrieben wird, wie auf diesem Gebiet, so dass nicht selten über eine und dieselbe Persönlichkeit die entgegengesetzten Urtheile gefällt werden. So wird auch durch diese Beurtheilung der paedagogischen Fähigkeit, je nachdem man einen Docenten will oder nicht, ein Tummelplatz erzeugt für Intriguen, Lügen und Verleumdungen, wobei es nicht selten vorkommt, dass auch die Gutachten früherer oder gegenwärtiger Zuhörer herangezogen werden, die unter keinen Umständen als kompetente Richter angesehen werden sollten.
Nach dieser Auseinandersetzung wird es begreiflich erscheinen, dass die Berufung als solche mit einem Glücksspiel zu vergleichen ist, bei welchem einer Glück, ein anderer Unglück haben kann. Man wird aber ausserdem einsehen, dass eine Berufung ohne die actuelle Mitwirkung eines einflussreichen Lehrers, Verwandten oder Freundes gar nicht mehr möglich ist. Aus diesem Grunde haben sehr mächtige Männer lange Jahre hindurch fast alle Stellen Deutschlands besetzt. Vor einigen Decennien wurde die Philologie fast in ganz Deutschland von einem einzigen Gelehrten besorgt, der neben zahlreichen Koryphäen der Wissenschaft in den letzten Lebensjahren auch
Hans Flach: Der deutsche Professor der Gegenwart. Leipzig 1886, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Flach_Der_deutsche_Professor.djvu/256&oldid=- (Version vom 18.8.2016)