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(4.) 150 Man muss sich nun wohl darüber wundern, dass bei Herodes so verschiedene Eigenschaften in einem und demselben Charakter vereinigt waren. Wenn man nämlich die Freigebigkeit und Wohlthätigkeit in Erwägung zieht, die er allen Menschen gegenüber bewies, so kann auch selbst der, welcher nicht besonders auf ihn zu sprechen ist, nicht leugnen, dass er von Natur überaus gutherzig war. 151 Betrachtet man dann aber die Gewaltthätigkeit und Ungerechtigkeit, womit er seine Untergebenen und seine nächsten Verwandten behandelte, und bedenkt man die Härte und Unbeugsamkeit seines Gemütes, so muss man allerdings gestehen, dass er ein allem menschlichen Empfinden abgeneigtes Ungeheuer war. 152 Daher sind die meisten der Ansicht, er habe mit sich selbst in Widerspruch und Zwiespalt gelebt. Ich dagegen glaube, dass die beiden so grundverschiedenen Richtungen seines Charakters auf eine und dieselbe Ursache zurückzuführen sind. 153 Da er nämlich sehr ehrgeizig und dieser Leidenschaft ganz ergeben war, neigte er zu prunksüchtiger Freigebigkeit, sobald er hoffen konnte, augenblickliche Anerkennung oder besonderen Nachruhm zu finden. 154 Weil aber seine Ausgaben ihm schliesslich über den Kopf wuchsen, war er genötigt, gegen seine Unterthanen hart und grausam aufzutreten. Denn was er den einen mit vollen Händen zuteilte, musste er von anderen wieder erpressen. 155 Da er nun wohl einsah, dass er sich um seiner Ungerechtigkeit willen den Hass seiner Unterthanen zugezogen hatte, und nicht imstande war, seine Fehler abzulegen, ohne seine Einkünfte zu vermindern, so suchte er eben diese üble Gesinnung des Volkes zur Vermehrung seines Vermögens zu benutzen. 156 Und was seine Angehörigen betrifft, so war sein Benehmen gegen sie nicht minder ungerecht. Sprach einmal einer von diesen nicht so, wie er es gern hörte, oder wollte jemand sich ihm nicht sklavisch unterordnen, oder geriet einer in den Verdacht, etwas gegen ihn ins Werk setzen zu wollen, so verfolgte er mit der Zügellosigkeit seiner Leidenschaft Freunde und Verwandte nicht anders, als

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Flavius Josephus: Jüdische Altertümer. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1899, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FlavJosAnt2GermanClementz.pdf/392&oldid=- (Version vom 12.12.2020)