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empfangen und abzufertigen. 172 Die Befehlshaberstellen aber lasse er solchen, denen er sie einmal verliehen habe, möglichst lange, damit wenigstens eine Rücksicht sie antreibe, seine Unterthanen wohlwollend zu behandeln. Denn der Sinn der meisten Menschen, die ein Amt bekleideten, neige zur Habsucht, und wenn jemand ein Amt nicht auf die Dauer, sondern nur für kurze Zeit erhalte, ohne zu wissen, wann ihm dasselbe wieder abgenommen werde, so sei seine Sucht zu plündern nur um so grösser. 173 Wenn aber jemand längere Zeit im Besitze eines Amtes bleibe, so werde er doch bald, wenn er genug zusammengescharrt habe, der Erpressungen überdrüssig und halte damit ein. Trete dagegen ein zu schneller Wechsel ein, so genüge den Beamten nicht einmal das Besitztum ihrer Untergebenen mehr, weil bei vorzeitiger Abberufung ihnen nicht so viel Zeit bleibe, dass sie, wie die Vorgänger, ihre Raubgier völlig befriedigen könnten. 174 Hierfür gab er folgendes Beispiel an: „Ein verwundeter Mensch lag am Boden, und eine Menge Fliegen sassen in seinen Wunden. Ein Wanderer, der zufällig vorbeiging, hatte Mitleid mit ihm, und da er ihn für zu schwach hielt, um die Fliegen zu vertreiben, trat er hinzu und schickte sich an, dieselben zu verscheuchen. 175 Der Verwundete aber bat ihn, das zu unterlassen, und als der andere ihn fragte, weshalb er denn von der Plage nicht befreit sein wolle, entgegnete er: Du machst mir noch mehr Schmerz, wenn du sie vertreibst. Denn sie sind schon gesättigt von meinem Blute und machen mir deshalb nicht mehr so viele Beschwerden als zuerst, sondern lassen schon etwas mit Quälen nach. Vertreibst du sie aber und kommen dann neue, hungrige heran, so werden sie, weil sie mich schon erschöpft antreffen, mich zu Tode aussaugen.“ 176 Aus demselben Grunde, fuhr Tiberius fort, schicke er seinen Unterthanen, die schon durch viele Plackereien hart bedrückt seien, nicht so häufig einen Beamten nach dem anderen, von denen sie dann wie die Fliegen ausgesogen würden, besonders da zu der natürlichen Habgier der Bedränger auch noch die Furcht hinzukäme,

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Flavius Josephus: Jüdische Altertümer. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1899, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FlavJosAnt2GermanClementz.pdf/535&oldid=- (Version vom 13.12.2020)