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ging es sechs Monate lang weiter, ohne dass Agrippas Lage sich änderte.

(8.) 205 Als nun Tiberius nach Capreae zurückgekehrt war, fing er an zu kränkeln, und die Krankheit verschlimmerte sich bald derart, dass er an seiner Genesung verzweifelte. Er trug daher dem Evodus, dem er von allen seinen Freigelassenen das meiste Vertrauen schenkte, auf, seine Kinder herbeizuholen, weil er vor seinem Tode noch einiges mit ihnen besprechen wolle. 206 Nun hatte er zwar keine eigenen Kinder mehr, da sein einziger Sohn Drusus schon gestorben war, doch lebte noch dessen Sohn Tiberius mit dem Beinamen Gemellus, sowie Gajus, der Sohn seines Bruders Germanicus, der schon herangewachsen war, feine Bildung besass und um seines Vaters Germanicus willen beim Volke sehr beliebt war. 207 Letzteren nämlich hatte das Volk in hohen Ehren gehalten, weil er ein sittenreiner, leutseliger und freundlicher Mann gewesen war und trotz seines hohen Standes vor niemand etwas voraus haben wollte. 208 Infolge dieses seines umgänglichen Wesens ward er bei Senat und Volk immer beliebter, und auch von den fremden Völkerschaften, die den Römern unterthan wurden, fesselte die einen seine persönliche Liebenswürdigkeit, während die anderen schon durch den blossen Ruf seiner vortrefflichen Eigenschaften für ihn eingenommen wurden. 209 Als er starb, war die Trauer eine allgemeine und aufrichtige, weil jeder sich durch seinen Tod in Mitleidenschaft gezogen glaubte. 210 Infolgedessen genoss auch sein Sohn allgemeines Wohlwollen, und besonders hingen die Soldaten an diesem so sehr, dass sie mit Freuden in den Tod gegangen wären, wenn sie ihm dadurch zur Herrschaft hätten verhelfen können.

(9.) 211 Nachdem Tiberius den Evodus beauftragt hatte, ihm am folgenden Tage in aller Frühe seine Kinder zu bringen, betete er zu seinen Göttern, ihm durch ein deutliches Zeichen den anzugeben, der sein Nachfolger werden solle. Sein Wunsch ging zwar dahin, seinen Enkel auf den Thron zu bringen, doch wollte er mehr

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Flavius Josephus: Jüdische Altertümer. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1899, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FlavJosAnt2GermanClementz.pdf/541&oldid=- (Version vom 13.12.2020)