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Quodlibet.





Großes keroplastisches Kabinet.
(Fortsetzung.)


Schamyl, (Omar Hassan von)

russischer Rebell und Generalissims der verbündeten tscherkessischen und tschetschenzischen Armeen, geboren am 21. Juli 1798 (alten Styls) genannt: Die Gazelle des Kaukasus.

In diesem Bilde sehen wir wieder einen Mann , der es bei seinen ausgezeichneten Kenntnissen und Fähigkeiten, besonders in strategischer Hinsicht, bei einer Fülle von Muth und persönlicher Tapferkeit und sonst untadelhaftem Charakter nur zu sehr bedauern läßt, daß er diese Eigenschaften nicht benützte, sich einen schöneren Nachruhm zu sichern, als den – des Galgens oder Rades, oder dergleichen. Wie würde Schamyl anderseitig groß und glänzend dastehen können – was hätte er wirken und leisten – werden und sein können!

Aus diesem Gesichte (offenbar kaukasische Raçe) leuchtet unfehlbar eine Art von phlegmatischer Gutmüthigkeit, wofür auch die neckische Corpulenz spricht, die er sich durch seine sorgenlose, ruhige, sitzende Lebensart und den häufigen Genuß von Porterbier, das er posttäglich direkt aus England erhält, zugezogen zu haben scheint. Unbezweifelbar ist übrigens die schon gewissermassen jedem Beschauer auffallende treue Aehnlichkeit unserer Portraitfigur hier, da sie genau nach einem Daguerreotype angefertigt wurde, das uns unser Landsmann, der bekannte Herr Maler Münchhäusler, gegenwärtig in Odessa, gütigst zusandte. Ebendemselben verdanken wir auch nebiges Facsimile Schamyls, so wie beifolgende umständliche Erzählung über die endliche Gefangennehmung des Rebellen (aus einem größeren Schreiben, das wir hier im Auszug geben), welcher Bericht uns jedoch, offen gestanden, selber ein wenig übertrieben scheint.

„ ...... Bei dem kleinen Forte Tschirdurta“, so heißt es in diesem Schreiben, „das nur äußerst schwach von russischen Truppen besetzt war, und das Schamyl mit beinahe seiner ganzen Armee seit ein paar Wochen eng eingeschlossen hielt, kam es endlich in den Morgenstunden des 30sten Februar (n. St) bei einem äußerst gewagten, aber glücklich berechneten Ausfalle aus der Feste zu einem entsetzlichen Gemetzel, das erst den andern Tag mit Einbruch der Nacht endete. (?) Die ganze moosige Ebene an dem Kerk hinauf bis gegen Straulwahz, und noch jenseits Tschirdurta bis an den gegen Südwest gelegenen Waldsaum von Ornokl, wenigstens 1½ Stunden Weges, sind mit den Leichen von vielleicht 70, bis 80,000(?) Rebellen, meist Tschetschenzen, Tscherkejer, Sfalataurer und Tscherkessen bedeckt. 43 Kanonen verschiedenen Kalibers (meist englisches Fabrikat), 14 Standarten und das ganze reiche Lager Schamyls sammt seinen beiden Serails, dem Sommer- und Winterserail (!) sein Flaschenkeller und Sonnenschirm, so wie seine ganze Insektensammlung, gegen 2000 Packrosse und Saumthiere und sämmtliche Vorräthe und Munition fielen den Siegern in die Hände.

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/106&oldid=- (Version vom 14.9.2022)