Hermann Wimmer (Red.): Der Nürnberger Trichter | |
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Nr. 8. | Beiblatt zu den Fränkischen Blättern. | 1848. |
Es war ein herrlicher Herbstmorgen am Anfange des Oktober-Monats, freundlich lächelnd ging die Sonne auf, der Haushahn entstieg gravitätisch seinem Harem, um krähend den jungen Tag zu begrüßen, und der Garten, der hinter unserm Hause lag, belebte sich durch den Morgengesang der erwachenden Sperlinge, dieser deutschen Miniatur-Minnesänger. Kaum blickte der erste Sonnenstrahl auch in mein kleines Schlafcloset, als ich mich mit fröhlich bangem Herzen erhob; denn es war heute das Wiegenfest meines geliebten Papa’s, ein für unsere ganze Familie höchst festlicher Tag, an welchem Jeder sich bemühte, wie Thorwaldsen sagte: „zu leisten, was er kann.“
Sechs Wochen zuvor schon hatte ich meinen harten Kopf angestrengt, ihm einen möglichst kühnen Einfall abzupressen, und es gelang mir! Ich kam auf den genialen Gedanken, meines Vaters Tugenden zu besingen. Zwar hatte die parteiische Natur mich mit keiner poetischen Ader begabt, dennoch bestieg ich den Pegasus und fabrizirte als eilfjähriger Student ein zwölfversiges Gedicht, das in Knittelversen Dankbarkeit und Liebe ausdrücken sollte. Nach vierzehntägigem harten Kampfe war ich damit fertig und hatte meine kühnsten Erwartungen kühn übertroffen. Da es aber mein steter Grundsatz war, nie stille zu stehen, – denn wer stehen bleibt, bleibt zurück, wird Reaktionär, – wollte ich auch die vierwöchige Frist möglichst gut benützen.
Nicht genügte mir die deutsche Sprache, künstlicher sollte meine Geistesproduktion werden, und so beschloß ich denn, meine Poesie in die Sprache der Gelehrten, in die lateinische, zu übertragen. Obgleich mein guter dicker Präceptor sich alle nur erdenkliche Mühe gab, mich in diese Sprache mit Beihülfe eines ziemlich gut gediehenen Bambusrohres einzuweihen, war es ihm doch nicht gelungen, über meinen Gleichmuth zu siegen, und ich war in der lateinischen Stunde stets der Erste – auf der letzten Bank.
Dieser Umstand jedoch konnte meinen Entschluß nicht wankend machen; ich lateinisirte meinen Gesang und bat hierauf einen Unterlehrer, der mir aus bis jetzt noch unentdeckten Gründen absonderlich hold war, das Carmen von allenfallsigen sogenannten harten Stellen zu säubern. Er fand in den ersten zwei Versen deren dreiunddreißig und beschloß deshalb, die übrigen zehn Verse frisch zu übersetzen.
Nachdem ich also am Festtagsmorgen meine Toilette in Anbetracht des festlichen Tages möglichst geordnet hatte, beschloß ich mit großer Selbstzufriedenheit, meine Gratulation zu beginnen.
In der rechten Hand hielt ich einen riesigen Blumenstrauß, in der linken einen Teller mit einer niedlichen Torte, und darauf lag das verhängnißvolle lateinische Gedicht, zierlich zusammengerollt.
Hermann Wimmer (Red.): Der Nürnberger Trichter. Friedrich Campe, Nürnberg 1848, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fr%C3%A4nkische_Bl%C3%A4tter_nebst_dem_Beiblatt_Der_N%C3%BCrnberger_Trichter.djvu/129&oldid=- (Version vom 1.8.2018)