Nr. 18. | Beiblatt zu den Fränkischen Blättern. | 1848. |
„Sprich!“ sagte der Kazizi. „Sag’, was hast Du an mir auszusetzen seit einem Jahre?“ dabei hob er seine Distelpeitsche sehr in die Höhe.
Da sprach der Oberhokipoki unerschrocken, denn er wußte wohl, daß bisher einem höchsten Beamten nichts geschah: „Mich erfaßt viel Schrecken, denn es könnte scheinen, als hätte ich früher die Unwahrheit gesagt, da ich Dich pries. Damals verdientest Du es aber sicher. Jetzt hingegen scheinst Du Deine Pflichten vergessen zu haben.“
„Da bin ich begierig,“ entgegnete der Kazizi, „laß einmal hören, was ich verbrochen habe. Ich kann mich an nichts Böses erinnern, denn gerade dieses Jahr hab’ ich alles mögliche Gute gethan, um Euch Euer Geschäft recht sauer zu machen. Nehmt Euch also in Acht, denn hier ist meine Distelpeitsche und es sind ganz treffliche scharfe Disteln daran. Was ist mein Fehler?“
„O großer Kazizi,“ sagte der Oberhokipoki, „Du bist zu gut gewesen. Du hast seit einem Jahr keine zwei Dutzend spießen lassen, Du hast nicht die Hälfte dessen verlangt, was Du sonst verlangt hast, Du hast zu viel belohnt, wo Einer was Gutes gethan, und Du hast so viel verschenkt, daß fast keine Armen mehr da sind. Das ist sehr schlimm, o Kazizi. Denn jetzt fürchtet sich kein Mensch mehr vor dem Spieß, jetzt sparen sie Alles zusammen zu Schätzen und die Andern haben keine Sorgen mehr. Wo will das hinaus – wenn die Bösen und Guten da unten keine Faust im Nacken verspüren. Ein Herr muß streng sein und thun, was er will. Wie wird man Deine Macht anerkennen, wenn keine Spießung mehr eintritt, wenn die unten thun können, was sie wollen, wenn sie Erworbenes behalten können, so viel sie vermögen, wenn die, so nichts haben, besser leben und sich daran gewöhnen, Etwas zu haben. Da werden sie nichts mehr geben wollen, da werden sie nicht mehr arbeiten wollen, da werden sie für jede verfluchte Schuldigkeit belohnt werden wollen. In Kurzem werden sie sich Alle so gut dünken wie die Hokipoki – und nicht lange wird es währen, so glauben sie, es sei der Kazizi ein Sterblicher wie sie, der Alles nach Recht, nicht aber nach Laune thun müsse.“
„Und was soll ich thun?“ fragte der Kazizi.
„Bei nächster Gelegenheit wieder ein Beispiel geben,“ versetzte der Hokipoki, „damit das Volk nicht glaubt, Du habest keine Macht mehr und brauchest seine Liebe –“
„Oder ich könnte Euch entbehren und Euren Hochmuth?“ rief der Kazizi. „Wohlan denn, ich will ein kurioses Beispiel geben. Meschmudi selami – d. h. Ihr seid
Eduard Kauffer (Red.): Der Nürnberger Trichter. Friedrich Campe, Nürnberg 1848, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fr%C3%A4nkische_Bl%C3%A4tter_nebst_dem_Beiblatt_Der_N%C3%BCrnberger_Trichter.djvu/169&oldid=- (Version vom 31.7.2018)