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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Die Baroneß trat zurück. „Hast du mich denn so lieb, Kind?“ fragte sie. „Wie kann ich dir das vergelten?“

„Lieb?“ Darthe öffnete weit die dunklen Augen. „Ich hab’ Sie nicht lieb, – ich hasse Sie, denn Sie sind ja unsere Feinde!“

Wieder umschlangen sie die weichen Arme.

„Darthing, Darthing,“ schluchzte die Baroneß, - „wenn mich doch viele so hassen würden wie du! Du hast mich ja lieb, – Darthing! Weißt du es denn nicht?“

Nein, Darthe hatte es nicht gewußt. Ihre Lippen zuckten. Sie seufzte schwer auf, als habe sie diese plötzliche Erkenntnis von einer drückenden Last befreit. Zwei große Tränen rollten langsam über die braunen Wangen.

„Ja ... ich habe Sie lieb ... darum konnte ich nicht anders.“

„Lieber Gott, lieber, großer, guter Gott!“ stammelte die Baroneß außer sich – „ich danke dir!“

Langsam schlug Darthe die Augen zu dem Fräulein auf.

„Werden Sie fliehen?“ fragte sie beinahe schüchtern.

„Ich weiß es nicht, aber ich danke dir für diese Stunde, Darthe Semmit. Ich habe nichts auf der Welt, womit ich dir zeigen könnte, wie sehr ich dir danke. Nichts ist groß genug dazu, aber ich gebe dir etwas ... mein Herz. Willst du es nehmen, Darthing?“

„Ja!“ sprach Darthe. „Ich werde Sie nie vergessen, Fräulein!“

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/255&oldid=- (Version vom 1.8.2018)